ist clean
1. November | Syrien
Der deutsche Außenminister auf Reise in Syrien, sagt beim Rundgang durch eine zerstörte Stadt, dass er sich nicht vorstellen könne, dass hier bald syrische Geflüchtete zurückkehren können. Umgehend Widerspruch, natürlich seien Abschiebungen nach Syrien möglich, der Krieg sei beendet. Bannt sich hier die Nachfolgedebatte zum Stadtbild an? Und wenn ja: Warum immer nur dieses eine Thema?
2. November | Plothen

Erste Blumenwurf-Lesung. Plothen, Plothenbachhalle. Es ist der Versuch, die vielen Gespräche und Gedanken in reichlich sechzig Minuten zu gießen. Wir haben recht lange daran gearbeitet, Themen gesucht, Fotos und Audio ausgewählt, um so eine Stunde zu schaffen, die einen weiten Blick wirft. Dennoch, ob das so aufgehen wird, wie gedacht?
Die Lesung wird von Dorfliebe für alle organisiert, einer Gruppe im Saale-Orla-Kreis, die sich engagieren. Der MDR filmt den Aufbau. Licht wird gerichtet, Schnittchen geschmiert, Menschen mit Cowboy kommen in die Halle. Die Lesung klappt, technisch, auch inhaltlich. Einige verlassen während der Lesung die Halle, später wird uns gesagt, das seien die von der AfD gewesen.
Nach der Lesung sagt der Moderator, dass wir uns erst einmal am Büfett bedienen sollten, später kämen noch Fragen. Na klar, denke ich, sicher und denke eigentlich, dass die Gruppe sich zerstreuen wird. Doch dann werden Stühle zu einem Sitzkreis zusammengeschoben, um, ausgehend von der Lesung, darüber zu diskutieren, wie man über die politische Situation sprechen kann, gerade mit Nachbarn und Familien. Bei den Feiern, im Vereinen sprechen wir gar nicht mehr darüber, da vermeiden wir diese Themen, das ist doch auch Scheiße.
Irgendwie ist es auch so, dass von uns Antworten erhofft werden, dass wir sagen könnten, wie man darüber spricht, über diese Gegenwart. Nach der Lesung sucht einer der Veranstalter unser Auto mit der Taschenlampe ab, um sicherzustellen, dass nichts manipuliert wurde, weil, das komme hier manchmal vor, Nägel im Reifen u.ä. »Euer Auto ist clean«, verkündet er schließlich freudestrahlend und wir treten die Rückfahrt an, nachts durchs Land der Tausend Teiche.
3. November | Post

Morgens stehe ich vor der Post am Goetheplatz und erinnere ich mich: Die Post in Weimar ist umgezogen. Fort aus der Innenstadt, hin zum Rand. Ich merke, wie ich wütend werde: Bei allem Bedeutungsverlust des Briefeschreibens denke ich, dass etwas wie die Post ins Zentrum gehört. Wütend, weil wieder eine Institution sich verschiebt. Am Abend zusammensitzen, über die Gegenwart sprechen. Mein Gegenüber sagt, dass die Gegenwart ein Vierklang aus vier Miseren sei: reale Katastrophen wie Krieg und 2°. Gesellschaftliche und demokratische Institutionen, die anstatt dem Gemeinwohl einer Marktlogik gehorchen. Neoliberalismus in all seinem Wirken. Der Vibeshift. Er überlegt, was dagegen helfen könnte, er überlegt eine Weile: nicht zynisch werden, sagt er, mitfühlend, Freude empfinden, Freude zeigen, die Kämpfe, die man führt, weise wählen.
4. November | Syrien
Ein dauerndes Lärmen der Syriendebatte. Ein Überschlagen von Beweisführungen, wie sicher Syrien sei, Jens Spahn führt die patriotische Pflicht ins Feld. Am Abend dann ein Hubschraubergeräusch. Der Kanzler landet auf einem Sportplatz wenige hundert Meter entfernt, gibt Autogramme, stellt sich auf Selfies, fliegt dann fort.
5. November | Mandami
Vor einem Jahr die amerikanischen Wahlergebnisse. Heute am Morgen wieder checken. Diesmal das Gegenteil. Ein neuer Bürgermeister in New York, das Versprechen einer anderen Politik. Die Frage: Ein Luftholen nur oder mehr. Was auffällt: Das Framing. In Texten hier wird oft ausführlich den Vorwürfen gegen ihn Platz eingeräumt (Kommunist, Untergang, Muslim, Terror etc.), viel weniger Raum für seine konkreten Absichten. Ein Bild formt sich so, natürlich.
6. November | wandernde Wut
In der ZEIT im Osten heute ein Artikel über den Thüringer Landtag, bei dem unsere Blumenwurf-Ausstellung den Rahmen bildet. Dabei kommt der Autor zu der interessanten Beobachtung, dass es sein kann, dass die Wut dabei ist, die Seiten zu wechseln. Die AfD und ihre Unterstützer erscheinen weniger wie Wüteriche, vielmehr als gelassen und gutgelaunt, weil sie wissen, wie der Zeitgeist für sie arbeite, es gibt viel weniger Gründe, wütend zu sein oder Wut zu zeigen.
7. November | zwei Welten
Elon Musk wird ein Tesla-Aktienpaket zugesprochen, das ihn um eine Billionen Dollar reichen machen könnte. Eine Untersuchung ergibt, dass die Elon Musk DOGE umgesetzten Kürzungen von Hilfslieferungen den Tod von 600.000 Menschen verursacht hat, ein Großteil davon Kinder.
8. November | Seitenwechsel
In Halle heute eine rechtsextreme Buchmesse, Seitenwechsel. Die bekannten Figuren und Positionen laufen auf. Journalistinnen dürfen sich nicht freibewegen, sondern werden »begleitet«. Seit Tagen in Halle schon dagegengesetzt das Wir-Festival, Freunde und Bekannten lesen dort, moderieren.