Gehacktes.
1. April 2024 | Aprilscherz
Erdoğan verliert die Kommunalwahlen in der Türkei. 1500 Menschen versammeln sich zum »Ankiffen« vor dem Brandenburger Tor, da Cannabis seit heute legal ist. Unbekannte gendern Einträge zur CDU bei Google Maps; wer dort nach der Partei sucht, erhielt als Ergebnis CDU-Bundesgeschäftsstelle*innen. Eine der drei Meldungen ist ein Aprilscherz.
2. April 2024 | Future
Der wärmste März in Deutschland seit Messbeginn. Die Vermutung, dass das Autoritäre der Zukunft mit dem Klima der Zukunft Hand in Hand gehen wird. Heute diesen Text von Nils Markwardt gelesen: Faschisten wollen Future. »Wie kaum eine andere politische Kraft der Gegenwart vermag der Rechtsextremismus seinen Anhängern ein nach vorn stürzendes Zukunftsprojekt zu verkaufen, das nebenbei sogar noch Spaß macht… Nicht nur die Verlangsamung und das Bewahren, sondern ebenso die Beschleunigung und die Sprengung der Verhältnisse. Nicht ausschließlich der blinde Hass, sondern ebenso das kalkulierte Vergnügen… damit auch der Spaß an der Eskalation, die Lust an der Jagd, das Feixen über das Leid der Anderen.«
3. April 2024 | Eingraben
Unverhofft in ein Gespräch über den Ukraine-Krieg geraten. Auslöser ist das Ostermarsch-Transparent am Sockel am Goetheplatz aus dem Eintrag vom 31. März. Im Gespräch sagt einer: Minsk II, Merkel hat gesagt dass, Friedensvertrag von Istanbul, Zelezny kann/ will keine Diplomatie, Russland ohne Putin würde zerfallen, Atomwaffen, NATO-Erweiterung etc. Der Andere sagt: Druck, Krim, Syrien, Täter-Opfer-Umkehr, Butscha. Einig sind wir uns bei: Friedenwollen. Uneinig, so stellen wir fest, über den Weg dahin. Schnell sprechen wir aufgeregt, es gelingt keinem von uns, unberührt zu bleiben. Irritiert bin ich, als mein Gegenüber sagt, dass er unsere unterschiedlichen Ansichten auch daran liegen, dass er mehr wisse als ich. Mehrmals erwägen wir einen Gesprächsabbruch, auch, weil wir befürchten, dass bei der Fortführung des Gesprächs zukünftig etwas zwischen uns stehen könnte. Wir reden dennoch weiter, weil wir nicht anders können, weil wir unsere über zwei Jahre erworbenen Ansichten teilen müssen, wir uns den angelesenen und angehörten Standpunkten vergewissern in diesem Gespräch. Wir können ein Gespräch führen, wir sind keine Unmenschen. Doch nehmen wir an, dass der Weg des Anderen zu mehr Leid führen wird. Aber wir wollen beide: weniger Leid.
4. April 2024 | [ ]
[Hier stand ein Eintrag, den ich gelöscht habe. Das Bedürfnis, über etwas zu schreiben, zu dem ich keine Kompetenz habe, außer etwas wahrgenommen zu haben, ist immer da, gerade in Formaten wie Chronik. Man führt eben aus und äußert sich. Und stellt beim erneuten Lesen fest, dass das nicht reicht. Dass ein Thema zu komplex ist, um es in einem Absatz abzuhandeln. Wenn dann das Recherchieren und Abwägen kommt, wird etwas daraus, dass hier nicht stehen sollte; eine Analyse, ein Essay, ein Pro&Contra, eine inhaltlich fundierte Auseinandersetzung, die über den Tag hinaus argumentativ Bestand hat. Dabei will ich nur dokumentieren, was ich gerade denke. Und manchmal ist das, was ich zu einem politischen Geschehnis denke nichts, was außerhalb einer viereckigen Klammer stehen sollte. Viel öfter sollte ich das machen: notieren und dann streichen.]
5. April 2024 | Punk
Die Ärzte haben ein Video zum Thema Demokratie gemacht. Im Video zeigen sie in die eigene Geschichte und einige politische Momente der letzten Jahre im Look der aktuellen KI-Ästhetik.
Campino, Sänger der Die Toten Hosen, der anderen erfolgreichsten deutschen Punkband, sagt in einem Interview anlässlich seiner Gastprofessur in Düsseldorf, dass er früher sagen konnte, was Punk war und heute nicht mehr.
Heute ist es jedenfalls so, dass Punk sich so versteht, dass er sich stark machen will für ein demokratisches System, für die Teilhabe aller, für das Wählen, für eine gute Gesellschaft. Punk ist konstruktiv, Punk hat Werte, Punk nutzt seine Tools, um diese Werte zu vermitteln, positive Werte. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht töten. Du sollst demokratisch sein.
6. April 2024 | Landesparteitag FDP in Legefeld
Landesparteitag der FDP in Legefeld bei Weimar. Weimar, weil der Erfurter und Jena Verband ein gesundes Konkurrenzdenken pflegen und Weimar so etwas wie die Schweiz darstellt. Auch wegen Parkplätzen und Autobahnanschluss ist der Goethe-Bach-Saal im Kongress Hotel gebucht, in einem Gewerbegebiet liegend, auch parteipolitisch passend. Vor dem Hotel ein in neoliberalgelb getauchtes Werbemittel, in das Luft geblasen wird, so dass die Illusion eines vor dem Himmel tanzenden Lulatschs entsteht, ein Skydancer.
Was hier in Legefeld nicht zu spüren ist: Angst. Die Partei seit Monaten in den Umfragen bei zwei bis drei Prozent. Bliebe es so, gäbe es keinen Einzug in den Landtag, alle Listenplatzabstimmungen heute wären für die Katz. Aber die Stimmung ist wie auf Klassenfahrt. Andere Parteien kommen in den Reden nur am Rande vor, was zählt, sind die eigenen Positionen, nicht der Blick zu anderen.
Gleich am Anfang ein berührender Moment: Es wird an die Gestorbenen des letzten Jahres erinnert, alle erheben sich, ein Moment der Ruhe. Anschließend gibt es, verbunden mit einer Anekdote, eine Definition des Begriffs Liberalismus: ein selbstbestimmtes Leben führen. Im Laufe der nächsten Stunden immer wieder Erinnerungen an historische Momente der Liberalen – der Verweis auf Genschers Balkonrede in Prag, ein eingestreutes Zitat von Scheel.
Als Landesvorsitzender hält Thomas Kemmerich eine Rede. Nennt fünf Säulen seiner Politik. Sagt glaubwürdige Sätze wie »Ich habe 6 Kinder, mir traut man zu, das Thüringer Schulsystem zu durchleiden.« Was bei der CDU der Kampf gegen das Bürgergeld war und bei den Grünen der Kampf gegen die AfD, ist bei ihm der Kampf gegen die Bürokratie. Es ist auch ein Reden in Hashtags, sprunghaft, von Thema zu Thema und zurück. Überraschenderweise entgeht ihm mehrmals die Wirkungskraft mancher seiner rhetorischen Momente. So blickt er bei einem Satz wie »Ich glaube nicht an Umfragen, ich glaube an Euch« auf, erstaunt, dass der Spruch mit den Delegierten resoniert.
Irgendwie ist es auch eine wurstig gehaltene Rede, bei der klar ist, dass es auf nichts ankommt. Über die Themen ist man sich einig, die eigene Kandidatur steht nicht ernsthaft zur Debatte, warum also sich so richtig ins Zeug legen. Darum ein Verzicht auf Pathos, auf Ernsthaftigkeit, weitestgehend auch auf Häme. Es ist ein bisschen wie ein schludriges ChatGTP mit Prompts wie »Wirtschaftsliberalismus« oder »Eigenverantwortung«, trainiert mit den Datensätzen von Hayek, Friedman und Klaas Klever.
Und irgendwie ist es auch angenehm, eher wenig Kulturkampf zu hören, sondern abgezirkelte, klare Positionen genannt zu bekommen, die sich argumentativ hinterfragen lassen, ohne sofort in einen emotionalen Ausnahmezustand zu geraten. Wie schön es doch wäre, wenn das die Hauptarena der Gegenwartspolitik wäre: neoliberal vs. meinetwegen ökosozial. Da es die AfD gibt, müssten neo und sozial ein Zweckbündnis eingehen gegen autoritär, was nicht funktionieren kann. Schade.
Nach fast einer Stunde ist die Rede beendet. Umgehend werden die Kameras abgebaut. Thomas Kemmerich ist ein Name, der einen Bericht über einen Landesparteitag einer 3-Prozent-Partei auch in überregionalen Medien trägt.
(Foto: Y. Andrä)
Anschließend kommt es zu Aussprachen der anwesenden Delegierten. Eine Kandidatin aus Jena berichtet von Übergriffen auf sie aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit. In nicht wenigen Reden nimmt der Wald eine gewisse Wichtigkeit ein. Fast scheint es, als würde hier bei der FDP mehr über Umwelt gesprochen werden als in den Stunden, in denen ich auf dem Parteitag der Grünen war. Das Narrativ, das mehrmals wiederholt wird: Dem Thüringer ist sein Wald wichtig, er ist stolz auf sein grünes Herz Deutschlands, deshalb dürfe kein Wald für Windkraft gerodet werden. Es geht weniger um Pro-Wald als mehr um Anti-Windkraft, eine Art Sternenstaubzauberrhetorik, der vielleicht am Ende die entscheidenden 0,1 Prozentpunkte bringt.
Mit 89% wird Thomas Kemmerich gewählt. Anschließend die Wahl der Listenplätze, die konkret Mandate im Landtag bedeuten, sollte die Partei, wie von Kemmerich beschworen, am 1. September 8-10 Prozent der Stimmen erhalten. Und wieder ein schöner Moment. Auf eine Frage hin stellen die Kandidatinnen von Listenplatz 2 ihre Aktivitäten außerhalb der Parteitätigkeit vor. Und diese lebhaft vorgetragenen Beschreibungen erweitern dankenswerterweise das Bild; CSD organisieren, Sterbebegleitung, Schwimmverein. Das passt erst einmal nicht so schlüssig zu den taubenblauen Anzügen, die viele hier tragen.
Anschließend weiter die Listenplatzwahl. Reden, Vorstellungen, Wir können nicht den Wind ändern, aber die Segel setzen, Schwatzen im Goethesaal, die Kommissionsvorsitzende ssscht das anschwellende Schwatzen weg. Das Hochheben der Stimmkarten, Männer mit Boxen laufen umher, einwerfen, die Kommission zählt aus. Aus sechzig Blättern besteht der Abstimmzettel. Bei Listenplatz Fünf sind schon zehn Zettel verbraucht, da manche der Delegierten den falsch nummerierten Zettel einwerfen, weshalb alle Zettel dieser Nummerierung zerstört werden müssen. Kurz steht der Verdacht im Raum, jemand sabotiert absichtlich die Wahl. Einmal ruft jemand bei einem besonders hohen Ergebnis lachend: »Bei Putin wars schlechter.«
Minütlich löst sich die Ordnung weiter auf, zunehmende Klassenfahrtstimmung. Man ist sehr entspannt, auch uns gegenüber. Wir erfahren, dass ein digitales Abstimmungssystem 8000€ für eine Veranstaltung kosten würde. Deshalb die analogen Abstimmungszettel.
Thomas Kemmerich wird zu Interviews gebeten, der Spruch aus der Rede »Ich glaube nicht an Umfragen, ich glaube an Euch« verfestigt sich. Der Rückgriff auf Phrasen als Antworten scheint für ihn auch die Funktion eines Schutzschildes zu haben, man kommt so besser durch die Fragen der Journalistinnen. Die Printmedien fragen härter nach als die mit den Kameras, zum Beispiel nach der fehlenden Unterstützung durch die Bundespartei für den Landesverband und der damit verbundenen ausbleibenden Finanzierung.
Später erfährt man, dass mit Agnes Strack-Zimmermann in Thüringen nicht zu kommen brauche, wenn, dann würde jemand wie Kubicki helfen. Es gibt für Politiker schwierige Tage. Für Politiker der FDP Thüringer war das heute in Legefeld ein guter Tag.
7. April 2024 | Weißenfels
Sommertag in Weißenfels. Ein schöner Ort, Radwege entlang der Saale, die versteckten Plätze, Boote auf dem Wasser, die Altstadt. Am Nachmittag auf der langgestreckten Beulitzer Straße ein Autocorso, vorn und hinten die Polizei dazwischen PKWs, Pickups, Wohnwagen mit Deutschlandfahnen, Russlandfahnen, Transparenten in verschiedenen Anti-Ampel-Variationen. Ein Mann mit Pferdeschwarz, gezwängt in Supermann-Kostüm hängt aus dem Seitenfenster, ein Megafon am Mund, kommentiert die Umstehenden, ruft einer Frau mit Rollator zu »Immer schön vorsichtig«, einer Mutter mit Kind »Umarmt Euch. Liebe ist das Wichtigste.« Die Kolonne rollt Sonntagnachmittag durchs Neubaugebiet, die wenigen Passanten eher gleichgültig, die Kolonnen dreht eine weitere Runde, die gleichen Rufe, die gleichen Fahnen, dann verschwindet sie in Richtung Zentrum.
8. April 2024 | Mentalitätsreform
Christian Lindner will mir Lust machen auf die Überstunde.
9. April 2024 | Dialog unter Brüdern
Björn Höcke: »Once again, Germany is at the forefront of persecuting political opponents and suppressing free speech. On April 18, I will stand trial in Halle. I am charged with the crime of using an alleged quote in which I expressed my patriotism „incorrectly“. I invite you to come to Halle and witness firsthand the state of civil rights, democracy and the rule of law in Germany. Björn Höcke, Leader of the AfD in Thuringia, Member of the State Assembly since 2014«
Elon Musk: »What did you say?«
BH: »At the end of a campaign speech in 2021, I used the following slogan: Everything for our homeland, everything for Saxony-Anhalt, everything for Germany.«
EM: »Why is that illegal?«
BH: »Because every patriot in Germany is defamed as a Nazi, as Germany has legal texts in its criminal code not found in any other democracy. These aim to prevent Germany from finding itself again.«
10. April 2024 | []
[gestrichen]
11. April 2024 | Björn Höcke sagt Gehacktes
Björn Höcke: »Dass ein Eisenacher Fleischermeister, der nach Opel liefern will, seine Gehacktes-Brötchen, seine Mettbrötchen – um mal was Handfestes jetzt als Beispiel anzuführen, dass der…
Mario Voigt: »In Thüringen heißt es Gehacktes. Wenn Sie sich in der Heimat auskennen würden…«
Björn Höcke (aufgebracht): »Ich habe gerade gesagt: Gehacktes-Brötchen.«
Mario Voigt (nickend): »Nee, Sie haben Mett gesagt.«
Und Björn Höcke erklärt, dass er mit »Mett« den Begriff »Gehacktes« übersetzen wollte für alle, die mit der Bezeichnung »Gehacktes« nichts anfangen können, eine Serviceleistung also für den Nichtthüringer Zuschauer. Und Mario Voigt, der in Berlin vor den Kameras von WELT TV steht, als gäbe es in Thüringen nur die Wahl zwischen ihm und dem Rechtsextremen, ist zufrieden, weil er den gebürtigen Lüner als Nichtthüringer überführt hat, weil der einstmalige Vertrauenslehrer nicht »Gehacktes« gesagt hat, obwohl dieser ja »Gehacktes« gesagt hat, so wie dieser gesagt hat »Europa soll sterben«, obwohl dieser ja gesagt hat »Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann«, ein Missverständnis, das, anstatt vor Gericht zu landen, letztlich zu dieser Mensur zwischen Völkischem und Konservativen geführt hat.
Und man schreibt, dass das Scharmützel um das Gehackte typisch sei für den Umgang mit dem ehemaligen Geschichtslehrer, denn die Medien verdrehten ihm immer die Worte im Mund. Und der Twitteraccount der CDU Thüringen schreibt: »Na, wer kennt seine Heimat besser? Das heißt hier bei uns #Gehacktes!« und stellt dazu das Video, in dem Björn Höcke Gehacktes sagt.
Und jeder ist zufrieden, weil er Punkte gemacht hat in diesem Schlagabtausch über das Gehackte und dann geht es bald weiter zum Holocaust, weil heute Gedenktag der Befreiung Buchenwalds ist und Mario Voigt früher täglich mit dem Schulbus am Glockenturm vorbeifuhr, er sagt KZ Buchenwald, Björn Höcke sagt ehemaliges KZ Buchenwald – und das ist etwas, das wieder nach Punkten schreit, weshalb weiter verteilt und addiert wird.
Und der Außenreporter der WELT meldet sich vom Public-Viewing der Jungen Union Thüringen aus dem Saalcafé mon ami Weimar und erfährt, dass man dort überraschenderweise Mario Voigt vorn sieht, während man aus der AfD-Zentrale hört, dass da eher Björn Höcke die wichtigen Punkte gemacht haben soll. Und im Fakten-Check der AfD lümmelt sich Steffen Möller gemütlich in ein öffentlich-rechtliches Format rein, weil Faktencheck an sich auch ein heißumkämpfter Kampfbegriff ist, um den es sich zu raufen lohnt, siehe Antonio Gramsci.
Und Robin Alexander wird um seine Einschätzung gebeten, wer hat sich denn nun besser präsentiert und die Edelfeder schätzt ein, dass Voigts Strategie aufgegangen sei und Höckes Plan auch geklappt habe und Markus Feldenkirchen schreibt, dass Mario Voigt es anständig gemacht habe und Björn Höcke zufrieden sein könne und Micky Beisenherz twittert »Mett, mett world« und jemand montiert in Memeschrift das Wort Gehacktes über ein Foto von Mario Voigt.
Und es bleibt der angenehme Grusel, erstmalig den waschechtesten aller deutschesten Rechtsextremsten in ein Gefecht geführt zu haben, wie so ein seltenes Tier konnte man begutachten, wie der völkische Eichsfelder sich so unter den kritischen Augen der Nation schlägt und da es ein Duell ist, ein Duell zwischen Demokratisch und Nichtdemokratisch, kann man auch Punkte vergeben wie Dienstag bei Arsenal gegen die Bayern, bei Buchenwald hat eher der Rechtsextreme gepunktet, bei der Anekdote über die Oma und die Russen der Demokrat und je nachdem, wo man sich reinklickt oder welches Video einem der Algorithmus bei TikTok vorschlägt, hat der eine den anderen klar geschlagen, und in eilig geschriebenen Kolumnen versichert man sich, dass der Demokrat gewonnen haben muss, alles richtig gemacht.
Ja, dieser herzhaft geführte Streit war ein Sieg für die Demokratie, der Rechtsextreme wurde gestellt, er wurde inhaltlich entblößt, er war ein Opfer der Medien, weil der Demokrat vorher die Fragen bekommen hat, der Rechtsextreme wurde in den demokratischen Diskurs eingebettet, er konnte seine Meinung frei äußern und kann nun niemals wieder behaupten, dass man wie damals in der DDR heute nicht mehr frei seine Meinung äußern dürfe. Ja, man hat sich gegenseitig entzaubert, indem man darüber sprach, ob die EU sterben soll oder wie das eigentlich ist mit der Menschenwürde, man sprach über SA-Parolen und Gehacktes, was eben so Themen sind in diesem Jahr 2024.
12. April 2024 | abzeichnen
Lesen, wie sich ein Angriff des Irans auf Israel abzeichnet. Das mittlerweile viel zu sattsam bekannte Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des Weltgetriebes, der Unabwendbarkeit, mit der sich die Zeit und das Elend durch einen Fleischwolf treiben.
13. April 2024 | Der erste Blumenwurf
Auftakt des Thüringer Blumenwurfs. Y und ich wollen – in Anlehnung an die Blumen, die Susanne Hennig-Wellsow 2020 dem damals gerade zum Ministerpräsidenten gewählten Thomas Kemmerich vor die Füße warf – durchs Land fahren und Leute Blumen werfen lassen auf etwas, das sie wütend machen. Die letzten Wochen die Vorbereitungen, heute ein Test, ein erster Wurf in Weimar, eingeladen sind Freunde und Bekannte. Auf einer Wiese sitzen, unter blauen Himmel, acht Stunden zuhören, wie andere über Wut sprechen. Die Wut als etwas, über das ich noch öfter schreiben werde. Damit auch das Gefühl, etwas Produktives aus der Gegenwart ziehen zu können.
14. April 2024 | 99%
Der Iran greift Israel an. Das Weltgetriebe beruhigt mich: Alles halb so schlimm, 99% der Raketen abgefangen. Dennoch: Wie kann das etwas anderes sein als die nächste Zäsur?
15. April 2024 | Nachgang
Ein seltsamer Nachgang. Der Angriff Irans. Die Szenarien, die jetzt durchgespielt werden: Wie könnte sich Israel verhalten, was wäre eine angemessene Antwort. Was ist denn eine angemessene Antwort auf den nächsten, den einen großen Krieg im Nahen Osten? Die Information, dass der Iran Israel vorab darüber informierte, wann welche Raketen wohin geschossen werden. Dass für den Iran der Vergeltungsschlag damit abgeschlossen sei. Die Raketen quasi ein Friedensangebot. Die Memes aus der Region, mit Bildern, auf denen der Iran mit Gurken schießt, um zu sagen: Ihr habt das nur halbherzig gemacht.
16. April 2024 | Ampelideal
Die deutsche Regierung erhält vom Verfassungsgericht den Auftrag, bestimmte Klimaschutzziele zu erreichen. Der Verkehrsminister hat zweieinhalb Jahre Zeit, verschiedene Maßnahmen dafür zu ergreifen. Der Verkehrsminister ergreift keine Maßnahmen und verfehlt die Ziele deutlich. Nach zweieinhalb Jahren warnt der Verkehrsminister: Wenn man mich zwingt, diese Ziele einhalten zu müssen, wird es den Bürgerinnen und Bürgern verboten sein, am Wochenende Auto zu fahren.
Die Öffentlichkeit schlussfolgert: Die Grünen wollen uns die Autos verbieten. Die Grünen beschließen zusammen mit dem Verkehrsminister, dass der Verkehrsminister keine Ziele einhalten muss. Der Verkehrsminister sagt: Erfolg für den Verkehrsminister, denn der Verkehrsminister wendet Fahrverbote ab. Die Grünen schreiben: starkes Update – ganz ohne Fahrverbot.
17. April 2024 | Oranienburg und die Lust auf Zersetzung
In Oranienburg können Neubauten bis auf Weiteres nicht ans Stromnetz angeschlossen werden. Es wird geschrieben: Erste Stadt schlägt Strom-Alarm! Das passiert, wenn man Bürgern E-Autos verordnet! Stromnetz weg wegen Wärmepumpenwahnsinn! Blackout für alle! Die Energiewende unser Untergang!
Es stellt sich heraus, dass seit vielen Jahren bekannt ist, dass die Stromkapazitäten für die Stadt nicht ausreichen werden, dass von Verantwortlichen vor Ort präventiv keine Maßnahmen ergriffen wurden, nicht wie notwendig rechtzeitig ein Umspannwerk geplant und gebaut wurde.
Warum ich dieses lokale Geschehnis notiere. Das öffentliche Verhandeln von Oranienburg als Beispiel dieser Zeit. Gruppen, die mit Wonne auf Missstände schauen und daraus ableiten, dass alles im Untergang befindlich wäre. Die Gegenwart als schlimmstmöglicher Zustand. Jedes Begebenheit Beleg dafür, dass der schlimmstmögliche Zustände unmittelbar bevorsteht. Freudvolle Apokalyptiker mit Lust an der Zersetzung, ihr Hochgefühl an Engpässen, ihr Lauern auf das Scheitern, das Erregtsein beim Problem. Die einzige Amplitude, die sie gelten lassen der maximale Ausschlag nach unten. Man sitzt auf der Hollywoodschaukel im Garten des Einfamilienhauses, auf dem Grill brutzelt Fleisch, man ruft auf dem iPhone das neustes Telegramvideo auf und bekommt bestätigt: Wir leben im schlimmstmöglichsten aller Deutschlands und wenn es so weitergeht, wird Deutschland endgültig untergehen.
18. April 2024 | Apokalyptiker, der eigene
Gestrigen Eintrag gelesen. Überlegt, ob ich nicht auch ein solcher Apokalyptiker bin. Den Untergang erwartend. Jede Meldung in eine Waageschale werfen, die nur eine Schale hat. Meerestemperatur über der Norm. Wärmster März aller Zeiten. Seit Monaten die wärmsten Monate aller Zeiten. Jedes Bleichen eines Korallenriffs. Jeder Waldbrand. Jedes Abschmelzen eines Eisbergs. Jedes Aussterben einer Insektenart. Jedes Versiegen einer Quelle. Alles Meldungen, die bestätigen. Empfinde ich Freude dabei? Genugtuung, weil jede Meldung mein Weltbild amtlich macht? Was unterscheidet meine Apokalypse von der der anderen Apokalyptiker?
19. April 2024 | ausblenden
Israel antwortet auf die Angriffe aus dem Iran. Was an mir vorbeizieht im Alltag. Der Krieg, der sich anbahnende Krieg, ausblenden als Luxus.
20. April 2024 | Widerspruch, der eigene
Gelesen, wie Markus Söder eine Informationskachel postet: Bayern verbietet Kiffen in Biergärten. Die ins Auge springende Ambivalenz als selbstbewusster Bestandteil der Nachricht.
Mit Abstand diesen Eintrag zum Widerspruch lesen und festgestellt, dass das Schreiben über den Widerspruch der Anderen den eigenen Widerspruch nicht benannt hat. Mein Widerspruch: Als Nichtraucher bin ich durchaus sehr angetan von Rauchverboten an Orten, an denen ich mich aufhalten könnte und müsste deshalb mich deshalb Markus Söder in Solidarität verbunden fühlen. Ich müsste die Kachel unterstützen, anstatt sie als dialektische Beweismittel anzuführen.
21. April 2024 | Scheidung ante portas
Absichtserklärung einer Partei in Regierungsverantwortung leakt, Arbeitstitel Wirtschaftswende. Inhalt sind die üblichen eiskalten liberalen Prompts der Gegenwart. Dieser fatale Ehrgeiz, die Umverteilung von unten nach oben weiter zu beschleunigen. Opposition spricht genüsslich von Scheidungspapieren, fühlt sich erinnert an 1982. Was, wenn es in diesem Jahr zu einer vierten Wahl käme? Kanzler Merz doch schon im Herbst 2024?
22. April 2024 | zerfetzen
In den USA beschließen Republikaner und Demokraten gemeinsam, mit sehr viel Geld der Ukraine zu helfen. Mit dem vielen Geld sollen Waffen gekauft werden, die viele Körper zerfetzen werden, viele schlechte Menschen werden damit sehr viel Geld verdienen. Was unsäglich ist. Unsäglicher wäre, Russland gewähren zu lassen dabei, ein ganzes Land zu zerfetzen. Um das Zerfetzen zu verhindern, müssen mit dem vielen Geld viele zerfetzende Granaten gekauft werden. Der Einzige, der weiß, wie man diesem Zerfetzens entkommt, ist Oskar Lafontaine. Auf die Frage, welche Alternative die Ukraine hätte, außer sich militärisch zu verteidigen, antwortet er: »…sozial. Ich rede zum Beispiel von Generalstreiks, Arbeitsverweigerung, von Widerstand im Kleinen.« Der stellvertretende russische Botschafter bei den UN schreibt: »…tens of thousands of Ukrainians will go to the meat grinder. But the inglorious end of the Kiev regime is inevitable …«
23. April 2024 | Kipppunktcountdowns
Auch schön, wenn das RL auf Einträge reagiert, z.B. auf den vom vergangenen Donnerstag über meinen Apokalypsefetisch. Auch deshalb heute in einer Lesung zum Buch Endzeit und »Die neue Angst vor dem Weltuntergang«. Seltsamerweise beruhigt aus der Stunde herausgegangen, trotz dem Beschäftigen mit den 13 Klimakippelementen, dem Makrokippunkt, den 60 Ernten. Vielleicht die Kernaussage: Ohne Alarmismus und Überdramatisierung dient man der Sache mehr, weil das, was geschieht, dramatisch genug ist. Man muss nicht zwingend von 60° Bodentemperatur schreiben, wenn 45° schon erschreckend genug sind.
24. April 2024 | Alternativen gegen Deutschland
Petr Bystron raschelt in Audioaufnahmen mit Geldscheinen und beschwert sich bei den russischen Freunden, dass man solche Größen so schlecht ausgeben kann. TikTok-Star Maximilian Krah, müde vom Sechs-Stunden-Interview mit Tilo Jung, freut sich auf fünf Jahre Europäisches Parlament, die kommende Zerstörung der CDU und grüßt seine chinesischen Freunde und Mitarbeiter. Tino Chrupalla freut sich, dass Caren Misoga und Juli Zeh so freundlich, höflich und sachlich mit ihm gesprochen haben. Später trinkt er in einem Berliner Edelrestaurant Wein mit Maximilian Krah, um seinen Spitzenkandidaten für Europa ans Herzen zu legen, sich aus dem Europawahlkampf rauszuhalten. Oberstudienrat und Geschichtslehrer a.D. Björn Höcke bringt »Weltgeschichte im Aufriß« und andere Geschichtslehrbücher zum Gericht nach Halle mit, um zu belegen, dass er noch nie von der SA-Losung gehört hat; eine aufsteigende rhetorische Kaskade, Fauxpas, Ich habe kein einziges Seminar zum Thema Nationalsozialismus belegt, man macht mich zum Teufel der Nation.
26. April 2024 | Sonne
Die Sonne scheint, wir dezimieren unser Klimaschutzgesetz und diskutieren über die AKW-Files.
27. April 2024 | Files
Die AKW-Files heißen jetzt Habeck-Files, weil, darum geht es doch, oder?
28. April 2024 | diese Woche
Ich habe diese Woche gelesen, wie in Amerika Gerichte darüber entscheiden, ob Schwangere in Notaufnahmen verbluten müssen oder eine Abtreibung erhalten dürfen. Ich habe gelesen, dass in Italien Abtreibungsgegner Zugang zu Kliniken für Schwangerschaftsabbruch erhalten. Gelesen vom achtundzwanzigjährigen Hünen in Frankreich, der beliebteste Politiker des Landes, quer durch alle Altersschichten, der zusammen mit Marine Le Pen in wenigen Jahren Frankreich regieren könnte. Gelesen, wie eine von Björn Höcke in Gera gehaltene Rede vom Kreml geschrieben sein soll. Habe gelesen von 1100, die in Hamburg Deutschland als Kalifat fordern. Und ich höre die Worte von Marina Weisband: »Weil ich sehe, dass diese unbändige Wut, in dieser Irrationalität, in diesem Suchen von Sündenböcken ungebremst ist und dass das Establishment ihr nichts entgegenzusetzen hat… so eine Hilflosigkeit von demokratischer Seite. Und ich fühle auf der anderen Seite diese sehr sehr zielgerichtete zerstörerische Wut dieser Leute.«
29. April 2024 | Oranienburg II
Der Vollständigkeit halber: Der Blackout in Oranienburg ist abgewendet. Ab Mai werden wieder neue Stromanschlüsse gelegt werden können, eine Nachricht, die sich bestimmt in allen relevanten Kanälen rasant verbreiten wird.
30. April 2024 | Europäische Konservative und Reformer
Kann sich vorstellen, mit den Schwedendemokraten, Reconquête, Fratelli d’Italia, PiS, Vox gemeinsam Gesetze zu machen: die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.