Unendlicher Spaß
1. April | Unendlicher Spaß

Mencius Moldbug. Die Dunkle Aufklärung. Curtis Yarvin. Palantir. Coronation Ball. The Cathedral. Butterfly Revolution. RAGE (Retire All Government Employees). Hard reboot. Government run like a corporation, with the president as CEO – die Namen, die Akronyme, die Narration klingen wie einem 1400-Seiten-Roman von David Foster Wallace entnommen; eine weit übers Ziel hinaus schießende Zukunfts- oder Parallelweltgeschichte, in der Politik und Gaming, Grausamkeit und Technik, Wirtschaft und Drogen, Popkultur und Personenkult miteinander verschmelzen, mit lauten bizarren Figuren mit bizarren Eigenschaften und bizarrem Verhalten, jeder verhält sich für sich und spannt damit doch das System auf, diese Welt.
Eine fiktive Dystopiesatire, die aber genauso formuliert steht in Blogs, Essays und Gesetzentwürfen, die genauso passiert und ernstgenommen werden muss, weil sie gerade geschieht und deshalb so einfach zu erzählen ist: indem sie immer wieder neue Kapitel aufschlägt, in denen immer neue Layer freigelegt werden, damit unterhält, lauter Cliffhanger und Handlungsstränge, die mit erst einmal für nicht möglich gehaltenem Unerwarteten aufwartet.
Und einmal in diesem Rabbit Hole verschwunden, ist mehr zu entdecken: Techno-libertäre Dynastien. Kuppelstädte auf Grönland. Freakzones. Repopulationzusammenkünfte. Fortschritt der Technologie im Dienst der menschlichen Transzendenz. Weltkongresse. Ein Krieg um die Seele des Westens. Die Bluttherapie Parabiose. Seasteading. Algorithmic governance. Effektiver Akzelerationismus. Die Verwirklichung des thermodynamischen Willens des Universums. Longterminismus. Lauter Konzepte, über die ich so begeistert lese, wie ich früher Jules Verne gelesen habe, und von denen ich gern Mini-Serien sehen würde, ganz entspannt wäre es, wenn es gerade nicht darum gehen würde, diese Fiktionen in die Wirklichkeit zu implementieren.
2. April | Das Urteil
Ganz Deutschland gepflastert mit Pro & Contras zum Le Pen-Urteil: Nimmt die Demokratie Schaden, wenn man Rechtsextreme rechtmäßig für Straftaten verurteilt? Die aufgeregte deutsche Sorge, dass ein solches Urteil für Rechtsextreme und deren Anhänger »eine Steilvorlage für Opferdiskurse« ist. Das sehnsuchtsvolle deutsche Fragen danach, ob es nicht besser für alle wäre, Gesetze zu beugen und Rechtsextreme nicht für ihre Taten zu Verantwortung zu ziehen.
Ich lese Faktenchecks, erfahre so, dass Marine Le Pen in den vergangenen zwanzig Jahren mehrmals forderte, Politikerinnen für Veruntreuung zur Verantwortung zu ziehen und ihnen das passive Wahlrecht deshalb lebenslang zu entziehen. Erfahre, dass der Entzug 2016 aufgrund der Verfehlungen eines linken Politikers in ein Gesetz gegossen wurde. Dass bisher mehreren prominenten französischen Politikern das passive Wahlrecht auf Zeit entzogen wurde. Dass allein 2023 über 600 französischen Politikern das passive Wahlrecht entzogen wurde. Dass die Gerichte im Fall einer Schuld das passive Wahlrecht entziehen müssen. Dass der Schuldspruch auch darin begründet liegt, dass Marine Le Pen während des Prozesses keinerlei Reue zeigte. Die Klarstellung: dass sie nicht für ihre politische Ansichten verurteilt wurde, sondern wegen Geldhinterziehung etc.
Es scheint mir wichtig, dieses Wissen in Erfahrung zu bringen. Weil in Berichten über das Urteil viel zu oft die Perspektive der Rechtsextremen übernommen wird. Eine »Blutrache des Systems« wird an erster Stelle zitiert, Überschriften werden bestückt mit ihrem Wording, »Das System hat die Atombombe rausgeholt«, »Marine Le Pen nennt ihre Verurteilung „politisch motiviert“« etc.
Weil es offenbar dieses mediale und gesellschaftliche Bedürfnis gibt – diesen vibe shift – Rechtsextreme und deren Wählerinnen unter Welpenschutz zu stellen, um damit die eigene Neutralität unter Beweis zu stellen. Die These, dass das vorauseilende Strecken aller Handlungsoptionen Rechtsextreme schwächen würde. Dieser bereitwillige Glaube hat dazu geführt, dass wir als Gesellschaft auf der großen Bühne die großen Gespräche mit den Rechtsextremen führen, dass wir ihre Themen zu unseren Themen machen und mit ihren Worten und ihren Zahlen mit ihnen sprechen und sprechen und sprechen und sprechen, immerzu sprechen und über das Sprechen sprechen, aus Angst, täten wir es nicht, würden wir ihren Wählerinnen als parteiisch erscheinen.
Aber wie können wir bei Rechtsextremen neutral sein? Wie können wir ihnen die Bühne geben, wie können wir ihnen das Regieren aushändigen, aus Angst, gäben wir es ihnen nicht, verärgerten wir ihre Wähler und dann wählten ihre Wähler erst recht die Rechtsextremen ins Regieren? Ihre Wähler sind uns wichtiger als ihre Nichtwähler. Wie können wir glauben, es wäre unfein, die Wählerinnen von Rechtsextremen mit der Konsequenz ihrer Wahlentscheidung zu konfrontieren? Wie können wir glauben, es wäre gerecht und hilfreich, Gesetze zu ignorieren, damit Rechtsextreme sich nicht schlecht fühlen müssen?
Ich verstehe nicht diesen Impuls, diesen Eiertanz, diesen vorauseilenden Kotau. In diesem speziellen Fall erscheint er besonders unverständlich. Wenn selbst hier keine Verurteilung nach dem Gesetz rechtens scheint, was bleibt denn dann noch?
3. April | 25 Stunden
25 pausenlose Stunden spricht Cory Booker vor dem Senat gegen MAGA. Wie das wohl ist, 25 Stunden am Stück zu sprechen? Alles zu sagen, sich alles loszusagen, alles rauszulassen. Alles auszusprechen, was ausgesprochen werden muss. Nichts, das ungesagt bleibt. Alle Floskeln sagen und weil dann noch 24 Stunden übrig sind, sagen, was sonst von den Floskeln verhüllt ist. Sagen, was ist. Wie es ist. Wie es einem dabei geht. Benennen. Wiederholen, was gesagt werden muss. Weil alles gesagt ist, müsste es danach doch umso einfacher sein, die Dinge zu benennen. Nicht mehr vorbeireden können. Sich nicht mehr drücken können. Danach müsste doch alles möglich sein. 25 Stunden als eine Art Selbstwaschung. Eine Reinigung. Eine Art Katharsis. Die Furcht, das Falsche zu sagen, hinter sich lassen.
4. April | Zoll & Strafe & Pinguine
Dass sich Elon Musk von DOGE zurückziehen will – nicht die größte Meldung des gestrigen Tages. Sondern: Mithilfe einer bunten Schautafel erklärt Donald Trump, welche Strafzölle zukünftig für alle Staaten der Welt außer Russland und Nordkorea gelten sollen – von 10 Prozent für Saudi-Arabien bis 50 Prozent für Lesotho, darunter auch die Archipele der Heard- und McDonaldinseln, die keine Handelsbilanz mit den USA aufweisen, weil dort nur Pinguine und Seehunde leben. Die Zollzahlen sind eine Division aus Handelsüberschuss durch Importe. Die Aktienmärkte crashen nach der Ankündigung des von Trump als »Liberation Day« bezeichneten 3. Aprils. Der amerikanische Senator Murphy schreibt: »The tariffs are a tool to collapse our democracy. A means to compel loyalty from every business that will need to petition Trump for relief.«
5. April | Ferris Bueller
Den gestrigen Eintrag im Prinzip aus den Tickern zusammengeschustert. So wie die meisten Einträge, die nicht auf dem Beschreiben von persönlichen Erlebten beruhen, versuche ich Eindrücke zu Informationen, die mir relevant erscheinen, den Zustand der Gegenwart darzustellen, hier zu komprimieren. Besonders gilt mein Unwissen im Bereich der Wirtschaft. Wirklich verstanden, was Strafzölle, Handelsdefizit und Aktienmarktcrash bedeuten, und aus welchen Gründen welche Akteure deshalb zu welchen Konsequenzen gelangen, hatte ich nicht.
(Und es ist ja auch nicht so, dass man das aktuelle Wirtschaftssystem bis aufs Letzte verteidigen müsste.)
Nein, eher war es die Überwältigung der Berichterstattung, aus der ich herauslas, dass hier etwas Außergewöhnliches passiert, garniert mit dem einfach zu verstehenden Bild der Strafzölle für eine Pinguininsel. Außergewöhnlich in der Drastik, außergewöhnlich in den möglichen Folgen und offensichtlich auch außergewöhnlich in der Unwissenheit, der Inkompetenz.
Was ich heute mitgenommen habe: Die ökonomische Begründung für die Zölle ist komplett wirr. Und: Dass es durchaus so gedacht ist, dass die Strafzölle ökonomisch keinen Sinn ergeben. Politisch dagegen schon. Weil sie als Disruption gedacht sind und als Druckmittel, um Akteure gefügig zu machen.
Aber da wird es schon wieder abstrakt und raunt und ich schaue eigentlich gebannt auf die fassungslosen Reaktionen von Ökonomen. Oder auf FOX News, die den Aktienticker abgeschaltet haben, weil die Zahlen so schlecht sind und die Zahlen schlecht sind wegen Trump, ein Zusammenhang so offensichtlich, dass er eben nicht gezeigt werden darf. Schaue auf Länder wie China, die einfach die Strafzölle gespiegelt zurückgeben.
Irrsinnige Zahlen. Rote Linien. Kurven, die zu Steilhängen werden. Vernichtetes Milliardenvermögen. Das Glück, noch keine Altersvorsorge an Aktienkurse gekoppelt zu haben. Trump, der, während die Welt »shakt«, zum Golfspielen nach Florida fliegt. Die Vergleiche zu anderen Strafzollerlässen und dem, was danach folgte. Die große Depression. Wörter wie Handelskrieg, Merkantilismus. Der Clip von Ferris Bueller, in dem der Lehrer den Smoot-Hawley Tariff Act erklärt.
Ein neues Themenfeld, das von MAGA in den Grundfesten erschüttert wird, eine weitere Arena.
Dagegen wirken die Aufforderung, dass Forschungspartner im Ausland mitteilen sollen, was sie zur »Abwehr von Genderideologie« beitragen, die Aufforderung an ausländische Firmen, Auskünfte zu erteilen, ob sie sich an das Verbot von Diversitätsprogrammen halten, belanglos.
Sind sie aber nicht. Alles ist auch eins. Bei allem geht es um die Unterwerfung, um das Gefügigmachen durch maximale Androhungen und maximale Taten. Bei allem geht es um die Disruption, um später im kreativ Zerstörten eine blattgoldfarbene Trump-Statue zu errichten.
6. April | Diplomatie! JETZT! Frieden

Über den Theaterplatz gelaufen und wieder gedacht: Ja! Natürlich! Seit 2022 hängt über dem Balkon des Deutschen Nationaltheaters ein Banner, auf dem steht: »Diplomatie! JETZT! Frieden«, JETZT in groß und rot. Und jedes Mal, wenn ich über den Theaterplatz gehe, werde ich auch getriggert. Weil ich denke: Ja! Natürlich! Frieden! Wer! Kann! Gegen! Frieden! Sein! Und denke: JA! Diplomatie! Immer! Besser! Als! Krieg! !!!
Und dieses Banner, das da hängt, ein gut gemeinter Versuch, letztlich aber der für alle sichtbar aufgehängte Beweis des Scheiterns dieser Annahme. Weil es klappt ja nicht. Weder Frieden noch Diplomatie. !!! Seit mehreren Wochen die heiße Phase von Diplomatie, nach dem »Eklat« im Weißen Haus, der Demütigung Selenskyj, den Seltenen Erden, den Treffen in Saudi-Arabien, den Blankocheck, den MAGA Russland ausgestellt hat, ist die russische Reaktion auf Diplomatie! Jetzt!: Der Raketenbeschuss eines ukrainischen Spielplatzes, neun Kinder ermordet. Die Bombardierung ukrainischer Energiestruktur. Drohnen Drohnen Drohnen. 160.000 neue junge russische Rekruten, die in den nächsten Monaten »ausgehoben« werden. Das Staatsfernsehen, das weiterhin zur besten Sendezeit auf Landkarten erklärt, wie Europa von russischen Raketen beschossen und russischen Soldaten erobert werden soll. Diplomatiejetztfrieden, sagt das Banner und triggert mich jedes Mal wieder, !!!
7. April | Frühlingsgefühle

Frühling ist da, die Forsythiensträucher wie gelbe Sonnen in grünender Wiesenlandschaft explodiert, Magnolienblüten vor pastellblauem Himmel, vereinzelt noch Übergangsjacken, mehrheitlich Sonnenbrillen. Das Wetter entspannt mich, ich spüre diese freundliche Hummeligkeit auch bei den Mitmenschen, man ist freundlicher, gelöster, gnädiger.
In diese frühlingshafte Gelassenheit kracht das Weltgeschehen. Auch die Umfragen. In den Umfragen rückt die AfD bis auf einen Prozentpunkt an die CDU heran. Eine rechtsextreme Partei als stärkste Partei Deutschlands scheint bis Ostern möglich.
Doch ich bin erstaunlich gnädig. Und erschrecke mich nicht mal über diese Gelassenheit. Weil: Ist das nach der 500 Mrd. Merz-Kehrtwende überraschend? Und: Was hats denn für konkrete Folgen, außer dass wir Texte lesen können darüber, wie AfD sich der CDU nähert, gleichzieht, überholt, Politik als ein Rennen, als Sportberichtserstattung, ein gieriger Blick auf Hetzen und Atemlosigkeit, wer ist Kaninchen, wer ist Schlange, oder Hase oder Igel, Hauptsache ein Wettkampf, der sich in klar verständlichen Zahlen ausdrücken kann? Was bringt es denn, außer das in den Texten die Namen der Meinungsforschungsinstitute auftauchen und wer als erstes die AfD auf dem ersten Platz vermelden kann, kriegt den Jackpot?
8. April | Trumpcrash: ONLY THE WEAK WILL FAIL!

Die Aktienhandelsplätze weiterhin auf »Talfahrt«, die Märkte im »Aufruhr«, »der dümmste Crash aller Zeiten«, »historisch«, »Kettenreaktion«, Gegenzölle, China erhöht, Musk redet ein auf, Rezession, Meltdown, Trillionen an Geldwerten vernichtet, ökonomisches Armageddon, Weltwirtschaftskrise, die nächste große Depression.
Weiterhin der globale Versuch, die Motive ergründen. Ist Trump überzeugt von Zöllen als Mittel dafür, Amerika wieder groß zu machen? Ist es Inkompetenz, belegt am Beispiel seines Handelsberaters, der sich in seinen Büchern über die Vorzüge von Strafzöllen auf einen ausgedachten Wirtschaftsfachmann beruft, dessen Name ein Anagramm des Handelsberaters ist?
Ist es das Ausüben wirtschaftlichen Drucks, um politische Gefügsamkeit zu erreichen? Das Ausüben, um Strafzölle gegen Bestechung fallenzulassen? Eine große Bereicherungsmaschine, weil, was fällt, kann billig getradet werden? Ist es alles zusammen oder nichts von dem? Ist er Tyrann oder oranggebräunter Orang-Utan? Was ist das Motiv, wenn ein einzelner Mensch die wirtschaftliche Weltordnung, auf die man sich vor 70 Jahren geeignet hat, crashen sehen will?
(Und wieder der Hinweis auf die notwendige Endlichkeit des neoliberalisierten Welthandelssystems. Oder, Natascha Strobl schreibt: »Dieses Wirtschaftssystem ist nicht zu halten. Es war furchtbar und hat die Bahnen für den Faschismus des 21. Jahrhunderts gelegt. Es hat die Welt verbrannt. Es hat uns jede Solidarität abtrainiert. Es geht nur noch darum, durch was es ersetzt wird. Wollen wir solidarisch und kooperativ miteinander leben und wirtschaften, so dass 8 Milliarden Menschen gut leben können. Oder wollen wir zu einem Mafia-Cronie-Kapitalismus, der auf den Launen Einzelner basiert, übergehen?«)
Was auffällt: Nachdem MAGA in den vergangenen Wochen andere Themenfelder gecrasht und disrupiert hat – Kultur, Wissenschaft, Außenpolitik, Gesundheitswesen, Medien, Justiz – ist jetzt mit der Wirtschaft der Teil des Systems dran, der sich sicher gefühlt hat vor MAGA, der so oft Namen in seinem gesprochen hat, The Art of Deal, a Businessman, ist jetzt im Panican-Modus. Was feature ist, nicht bug.
Wie auch ein Präsident, der während des Crashs, der seinen Namen trägt, ein dreitägiges Golfturnier spielt, kein Fehler ist, sondern genau das Signal, das gesendet werden soll. Und wenn der Präsident während des Trumpcrashs in Großbuchstaben postet: »ONLY THE WEAK WILL FAIL!«, dann ist das grundsätzlich zu verstehen, als elementare Philosophie, als prinzipielles Menschenbild.
9. April | keine Brennpunkte
Aus den vergangenen Tagen. In Wetzlar erschießt ein Neonazi eine 17jährige. In Weitefeld ermordet ein AfD-Anhänger eine dreiköpfige Familie. Nach rechtsextremen Drohmails werden in Duisburg für 18000 Kinder die Schulen geschlossen. Auf Vorschlag der AfD wird in Thüringen ein Verbreiter von Verschwörungserzählungen zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichtshofs ernannt. In Halberstadt werden Banner, die an die Opfer des KZs Langenstein-Zwieberge erinnern, gestohlen. In Sachsen wird die Einstufung eines brutalen Mordes durch Rechtsradikale als rechtsmotivierte Gewalttat zurückgenommen. In Gelsenkirchen greift ein Rechtsextremer das Büro der Die Linke an. Im Bericht der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt werden für das Jahr 2024 Höchstzahlen vermeldet. Alle 13 Minuten erfasst die Polizei in Deutschland eine rechtsextreme Straftat. Der CDU-Kreisverband Harz fordert die Öffnung der Partei hin zur AfD.
10. April | Übergang zur Großartigkeit
Seit gestern auch der Grund für die Strafzölle geklärt: Donald Trump lässt die Strafzölle (bis auf China) 90 Tage pausieren, spricht von einer »Transition to greatness«. Vor Verkündigung dieser Nachricht postet er in Großbuchstaben »THIS IS A GREAT TIME TO BUY!!! DJT«. An den Aktienmärkten werden entsprechende Trades getätigt, die Pause wird verkündet, die »Börsenkurse legen kräftig zu«. Man müsste also schreiben: Insiderhandel als Grund für die Strafzölle. Milliardenwerte verschoben hin zu denen, die von der Pause vorher wussten, The Art of Deal.
Da geht es fast unter, dass Deutschland wieder eine Regierung dank Koalitionsvertrag hat. Dieser ist der erwartete kleine Wurf. Was aber allgemein eher so hingenommen wird, weil man irgendwie auch dankbar ist, dass in diesen instabilen Wochen die Fortschreibung der Pendlerpauschalenerhöhung eine angenehme Simulation von Stabilität erzeugt.
11. April | diese Ausschläge

Aufgewacht und gedacht, wie krass das eigentlich ist und wie wenig Beachtung das Ausmaß dieser Krassheit findet. Die Offenlegung, dass die Handelszölle wahrscheinlich einer der größten Betrugsfälle sind – die Reichsten der Welt haben innerhalb eines Tages über 300 Milliarden Dollar dafür erhalten, Aktien zu shorten und zu kaufen, von denen sie widerrechtlich wussten, dass sie steigen werden. Vor aller Augen dieser mutmaßliche Betrug, der Präsident prahlt im Oval Office, wie viele Milliarden er daran verdient hat, prahlt, welchen Reibach seine Entourage damit gemacht hat.
Oder auch: 90 Prozent der Männer, die die USA vor wenigen Wochen nach El Salvador deportierten, haben keine kriminelle Vergangenheit. Die amerikanische Regierung verhindert die Aufhebung der Deportationen aktiv. Der Chef des Deportationsstaffel wünscht sich ein Amazon Prime für Deportationen, ein Guantanamo to go. Die amerikanische Regierung kündigt an, dass jeder Amerikaner eine solche Deportation befürchten müsse.
Oder auch: Der Save-Act, der im Repräsentantenhaus verabschiedet wird und der Wahlrechte einschränkt. Einschränken im Sinn von: verheiratete Frauen, die nicht mehr ihren Geburtsnamen tragen, dürften dann nicht mehr wählen.
Jeder dieser Gedankenstriche eine Ungeheuerlichkeit, so groß, dass man sich Jahre daran abarbeiten müsste. Wie krass, diese Ausschläge, das neue Normal.
11. April | Gummigeschoss
An der Mensa der TU Ilmenau werden aus einem fahrenden Auto heraus acht Studierende mit einer Pistole und Gummigeschossen beschossen, sechs von den acht kommen aus dem Ausland. Am Kennzeichen des Autos werden Buchstaben- und Zahlenkombinationen erkannt, die der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind. Ein politisches Tatmotiv wird von der Polizei geprüft.
12. April | das Ungeheuer
Noch mal den ersten der beiden gestrigen Einträge gelesen. Über das Wort »Ungeheuerlichkeit« nachgedacht, das auch ein Ausdruck von Entrüstung in sich trägt, die oft etwas wohlfeil, auch hysterisch anmuten kann. Warum verwende ich ausgerechnet dieses Wort »ungeheuerlich«?
Warum, weil man für das rechtswidrige Deportieren und Wegsperren ja nicht nach Russland, China oder Nordkorea schauen muss? Man kann ja auf den »Westen« schauen, auf Europa, auf unsere demokratischen Staaten. Es gab ja Guantanamo, das gab es unter verschiedenen amerikanischen Präsidenten, es gab dort den Fall Murat Kurnaz und Frank-Walter Steinmeiers Haltung dazu, es gibt aktuell den Fall Maja T.
Warum dann gestern diesen Eintrag schreiben und darin das Wort »ungeheuerlich« verwenden? Drei Dinge heben sich besonders ab: Die Öffentlichkeit, die für die unrechtmäßigen Deportationen bewusst gesucht wird. Das Systemtische, das dahintersteht und allgemeingültig gemacht werden soll, eben ein Amazon Prime für Deportationen, von dessen Effizienz, Unberechenbarkeit und Gnadenlosigkeit alle wissen sollen und deshalb fürchten sollen. Und vor allem die Wonne an der Grausamkeit, das Ghiblifizieren der Ungerechtigkeit, das ASMR-Kitzeln des Terrors – das ist neu, das ist anders, das ist furchteinflößend, das ist das Ungeheuer.
13. April | Mr. Maher geht nach Washington
Ich sehe die Sendung, in der Bill Maher von seinem Dinner mit Donald Trump monologisiert und einem begeistert klatschenden Publikum erklärt, wie unerwartet freundlich und selbstkritisch und gracious and measured Trump gewesen sei, im Weißen Haus sitze kein Verrückter jedenfalls, und danach Steve Bannon zum Gespräch bittet. Noch auf dem Schafott würde Maher dem Henker Respekt zollen, nur um Applaus für seine übergescheite Unvoreingenommenheit abzustauben.
14. April | Into the Complete Unknown

Am Abend »A Complete Unknown« gesehen und während des Schauens gedacht, dass ich gerade keine Lust habe auf die Vergangenheit, die Vergangenheit erklärt zu bekommen, die Vergangenheit erzählt zu bekommen, dass die Art und Weise, wie wir Geschichte und Geschichten bisher als Instrumente verwenden haben, um uns die Welt zu erschließen, gerade wirkungslos an der Gegenwart abprallt, dass das Wissen darüber, was einmal geschehen ist, kein bisschen hilft zu verstehen, was geschehen wird, einer reichsten Männer der Welt verwendet sein Milliarden dazu, seine Freundin und Katy Perry für zehn Minuten ins All zu schicken
15. April | Wahrscheinlichkeiten
Mit T., die in Sachsen-Anhalt lebt, über die Wahrscheinlichkeit sprechen, mit der nach der Landtagswahl im kommenden Jahr die AfD dort den Ministerpräsidenten stellen wird. Dabei die Welle der CDU-Prominentenstimmen im Ohr, die auf einen normalisierten Umgang mit der Partei drängen. Den Text lesen, der die Versäumnisse der SPD-Innenministerin beim AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes beschreibt. Man schludert sich diese Wahrscheinlichkeiten auch hoch.
16. April | Abrego Garcia
Abrego Garcia, einer der Männer, den die amerikanische Regierung vor einigen Wochen ohne Anklage oder Urteil in ein Gefängnis nach El Salvador deportieren ließ, wird immer mehr zum Symbol der MAGA-Frühphase. Quasi eine Schlacht um Rechtsstaatlichkeit. Einerseits das Ignorieren von Gerichtsurteilen, das Diffamieren in den MAGA-Kanälen, das Posieren von MAGA-Leuten vor el salvadorischen Gefängniszellen, in denen halbnackte Gefangene präsentiert werden, das Fordern des Präsidenten, dass in El Salvador viel mehr solche Deportationslager gebaut werden sollen, damit dorthin auch »home-grown«-Amerikaner deportiert werden können. Auf der anderen Seite die Gerichtsurteile, das Benennen des Garcia-Falls in Medien und auf Demonstrationen, Nicht-MAGA-Politiker, die nach El Salvador reisen, um die Freilassung zu erwirken.
Abrego Garcia als Symbol, weil es die Essenz eines Terrorstaats ist: willkürlich Menschen wegzusperren und umkommen zu lassen. Wenn dieser Fall durchgeht, dann kann alles durchgehen. Das ist beiden Seiten bewusst. Deshalb der Kampf um dieses Symbol, ein Symbol, das Mensch ist.
17. April | Tage in Sachsen

Im Sebnitzer Amtsblatt schaltet ein Dachdecker eine Anzeige, in der er Auszubildende sucht »ABER: keine Hakennase, Bimbos oder Zeppelträger!« In Zeithain soll ein 16-Jähriger den hochgiftigen biologischen Kampfstoff Rizin hergestellt und aufbewahrt haben, die Polizei findet bei der Hausdurchsuchung ein entsprechendes Chemielabor. Die Zwickauer Oberbürgermeisterin erhält vom Absender »Adolf Hitler« eine Mail, in der steht: »Denken Sie an Walter Lübke. Immer schön aufpassen.« Vier Schüler aus Görlitz lassen sich vor Gedenkstätte Auschwitz mit dem White-Power-Gruß fotografieren. Bekannt wird, dass im Januar in Oelsnitz vermummte Unbekannte einer Lehrerin auflauern, die Reichskriegsflagge zeigen und ihr »Sieg Heil« und »Wir schicken dich ins KZ!« zurufen. Mehrere sächsische Städte stellen die Förderung von Demokratieprojekten ein.
Ostern 2025 | Salzrand
Der Senator, der den unrechtmäßig deportierten Abrego Garcia im Gefängnis besucht, berichtet, dass das Gespräch ursprünglich an einem Pool stattfinden sollte, um zu zeigen, wie gut es Garcia im Gulag geht. Auf dem Tisch werden Cocktailgläser mit Salzrand und Orangenscheibchen gestellt, Senator und Garcia trinken demonstrativ stilles Wasser.
Ostern 2025 | Osterfrieden
Nachdem Putin zum Palmsonntag Raketen auf die Besucher eines Gottesdiensts fliegen lässt und damit fast vierzig Menschen ermordet, mithilfe des sogenannten Double Taps, was bedeutet, dass eine zweite Rakete kurz nach der ersten abgeschossen wird, um möglichst viele Ersthelfer zu töten, mahnt er über Ostern einen »Osterfrieden« an, der gleich am ersten Karfreitag über sechzig Mal gebrochen wird. Fox News überträgt die Ostermesse mit Putin aus Moskau, zeigt dabei Bilder aus Kyjiw und untertitelt dies mit »Kiew, Russia«. Der amerikanische Außenminister sagt: »If it is not possible to end the war in Ukraine, we need to move on«
Ostern 2025 | Ghosting
Der Papst kürzt ein Treffen mit JD Vance auf wenige Minuten ab und schickt stattdessen einen Kardinal, um dem amerikanischen Vizepräsidenten eine Botschaft über Mitgefühl und Fürsorge für die Schwachen zu überbringen.
Ostern 2025 | Hallervorden
Dieter Hallervorden vollendet am Samstag den perfekten Cancel-Culture-Circle: Samstag, 20:15 zu behaupten, man dürfe nichts mehr sagen, indem er seinem Palim-Palim-Sketch einen Appendix vorschaltet, in welchem er das N-Wort und das Z-Wort aufsagt, die Kritik dann als Beweis dafür sehen und ein paar Tage später auf einer rechtsextremen Querdenken-Demo eine Ansprache halten.
Ostern 2025 | Mauna Loa
Auf Hawaii wird drei Tage in Folge eine CO2-Konzentration in der Atmoshphäre von mehr als 430 ppm gemessen.
Ostern 2025 | Rowling
Harry-Potter-Autorin JK Rowling, eine der weltweit stärksten Kämpferinnen gegen Rechte für Transpersonen, posiert auf einem Bild mit Cocktail und Zigarillo, nachdem der Oberste Gerichtshof in UK ein Urteil fällt, dass trans Frauen Frauenrechte abspricht. Vorausgegangen war eine Kampagne, die Rowling mit mehreren zehntausend Pfund unterstützte. Der Schauspieler Pedro Pascal schreibt: »I can’t think of anything more vile and small and pathetic than terrorizing the smallest, most vulnerable community of people who want nothing from you, except the right to exist.«
Ostern 2025 | Papst
Zu der Sammlung der Ostereinträge gehörte ein Eintrag darüber, wie der Papst JD Vance eine Lektion in Sachen Mitgefühl erteilte. Im ersten Durchlauf ließ ich das aus, der kleine Text erschien mir trivial, irgendwie nicht wichtig, eine Fußnote nur. Am Ostermontag vermeldet der Vatikan den Tod des Papstes. Ich habe meinem Leben nur drei Päpste bewusst wahrgenommen, Franziskus war einer von ihnen und bei allen Widersprüchen, allen Aussagen, denen ich diametral gegenüberstehe, schien er von den dreien derjenigen zu sein, der das, was eine Glaubensgemeinschaft neben dem vielen viele Schlechten an Guten in die Welt bringen kann, noch am ehesten verstanden hatte.
Dazu gehört eben auch, dass sich Franziskus gegen die Deportationspolitik der amerikanischen Regierung ausgesprochen hatte. Jetzt die Memes, dass JD Vance (nach dem er bei einer Preisverleihung tollpatschig eine Sporttrophäe zerstörte) auch noch den Papst umgebracht hat. Jetzt eben auch Marjorie Taylor Greene, die schreibt: »Today there were major shifts in global leaderships. Evil is being defeated by the hand of God.«
Denn so ist das Bild bei MAGA: Der Stellvertreter Gottes stellt sich gegen MAGA. MAGA schickt seinen Stellvertreter zum Papst. Der Papst, das Böse, stirbt, gerichtet durch die Hand Gottes. Ein Zeichen für MAGA, dass MAGA göttlicher Wille ist. Das ist die Logik.
21. April | Ostern Recap
Das Ziel dieser Ostereinträge sollte zuerst sein, ein Nebeneinander festzuhalten. Beim Nachlesen fällt mir auf, dass die Einträge außerdem eindrücklich zeigen, dass dies eine Zeit ist, die es einen besonders leicht macht, Böses zu tun und dieses Böse stolz zu vermelden und zu präsentieren. Und Böses meine ich nicht metaphorisch, sondern in der maximalen Größe dieses unscharfen Begriffs, des eigentlichen Sinns von: Menschen Schaden zuzufügen. Dazu kommt die Freude, die man dabei empfindet, kommt der Drang, das ausgeführte Böse nach außen zu tragen und dass es eine Öffentlichkeit gibt, die diese Freude daran teilt und die Lust am Bösen als sogar Bedingung nimmt, um Teil dieser neuen Welt zu sein. Kein schlechtes Gewissen, keine moralische Scham hindert das Abfeiern des Bösen.
Und zugleich gibt es in dieser Zeit auch die Gegenbewegung, das Gute, das genauso maximal ist und zugleich uneindeutiger im Gesamten, zu tun. Die Reaktion auf die Dachdecker-Anzeige im Amtsblatt von Sebnitz als Beispiel, wo die Feier des Bösen dazu führt, dass Menschen einstehen für etwas, das Nichtböse sein soll.
22. April | ÖRR
Jens-Christian Wagner, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, berichtet, dass er in einem Interview für das ZDF gebeten wurde, »einen Satz über Angriffe auf die liberale Demokratie noch einmal zu wiederholen, ohne die AfD zu erwähnen. Als Grund nannte [die Journalistin] die Befürchtung, ihr könne sonst im Netz „AfD-Bashing“ vorgeworfen werden.«
Dieses Beispiel fällt in Tage, in denen viel über die Rolle des ÖRRs gesprochen wird: der Hallervorden-Sketch, eine neues Reportageformat, das Themen anpacken will, über die sonst kaum geredet wird und als erstes Thema dafür kriminelle Migranten wählt, die Äußerung einer Intendantin, die sagt, dass »Positionen der AfD in den Programmen des WDR dargestellt werden müssen. „Wenn die AfD mit ihrem politischen Angebot nicht vorkommt, fühlen sich Menschen, die diese Partei wählen, nicht abgebildet“«, Diskussionen darüber, ob die ÖRR-Berichterstattung die Entwicklungen in den USA verharmlost darstellt, eben die Frage nach einem Neutralitätsgebot und ob das bedeutet, dass, wenn ¼ der Menschen eine rechtsextreme Partei wählen, ¼ der Themen im ÖRR rechtsextreme Positionen abbilden sollten. Gary Lineker sagt in einem Interview über den ÖRR in UK: »This is the mistake the BBC makes. The BBC tries to appease the people that hate the BBC, rather than worrying about the People that love the BBC.«
23. April | Nichtgriff
Nach dem Aufstehen wider besseres Wissen einer der ersten Griffe der nach dem Smartphone. Die üblichen Themen und Figuren tauchen auf; Handelszölle, Börsen, AfD bei 26%, Welche Aktion macht Trump, Wie wird diese Aktion bewertet, Teslas Verkäufe brechen ein, Putin etc. Immer die gleichen Geschichten, Charakter, Muster, Themen, wie eng diese gewaltige Welt dadurch wird, wie ließe sich diese Enge vermeiden, dieser Griff? Johannes Franzen schreibt: »Stattdessen dämmert man in dieser frenetischen Gegenwart müde vor sich hin und ist gleichzeitig doch ständig erregt – ein fieberhafter Zustand, der auch auf eine eigentümliche Art moralisch aufgeladen ist.«
24. April | mit der Faust in Ostdeutschland schlagen

Die sehr gute Verfilmung von Lukas Rietzschels sehr gutem Roman »Mit der Faust in die Welt schlagen« gesehen, Sachsen in den 2000er-Jahren und es kommt mir sehr vertraut vor, die kleinen Gesten, die Sprache, die Sprachlosigkeit. Mit mir im Kinosaal drei ältere Damen, beim Abspann sagt eine von ihnen: War ja nicht gerade ein Wohlfühlfilm.
Ich denke: Wie auch, wenn man über Sachsen in diesen Jahren erzählt. Die Zeiten sind gelebt, unwiderruflich ist eingegraviert, was geschehen ist. Daran lässt sich nie mehr rütteln. Du wirst keine ernstzunehmende Geschichte über Sachsen in den 1990er oder 2000er-Jahre oder den 2010-Jahren erzählen können ohne diese Themen, ohne die Hakenkreuze, geritzt in Schulbänke und Kinderwangen.
Und das ist schade, weil ja viele schöne Sachen passiert sind. In der Landschaft, in der dieser Film spielt, haben wir in den 00-Jahren einige schöne Konzerte gespielt mit schönen Abenden und schönen Menschen und schönen Erinnerungen, genau genommen gibt es unzählig schöne Momente aus Sachsen in den 00er-Jahren und das alles lässt sich schön erzählen und soll auch so schön erzählt werden, aber es gibt auch das andere, und das war immer auch dabei, ist miteinander verwoben und verbunden, das gehört zur Erzählung, ist auch die Erzählung, muss die Erzählung sein.
An dieses Nebeneinander denke ich, als ich eine Doku sehe, die versucht zu beschreiben, wie der Osten in den vergangenen 35 Jahren medial dargestellt wurde; die SPIEGEL-Titelseiten vom Aufschwung Ost und den Zonengabys und Sebnitz und PeGiDa und wie die Treuhand die DDR-Presse an die Westpresse verkauft hat und die westdeutschen Intendanten für die ostdeutschen Sendeanstalten und Zeit im Osten und pro Zeitung ein Journalist, der den Osten abdeckt, und die »Ostwochen« in den Medien, wenn mal wieder eine Wahl ansteht, all diese Beispiele für strukturelles Versagen beim Erzählen über DEN OSTEN, der es unmöglich macht, das DEN auch kleinschreiben zu können und dass das Ronny-Kind längst in den Brunnen gefallen ist und dass 40% im Osten DEN Medien nicht vertrauen und die SZ nur 2,5% ihrer Auflage im Osten verkauft und dass dies bitteschön keine Entlastungsgeschichten sein können, um den Osten aus der Verpflichtung zu entlassen – weil der Westen uns alle als Skinheads beschrieben hat, konnten wir gar nicht anders, als zur Pride-Parade in Bautzen in Springerstiefeln aufzumarschieren und 37 mal die AfD zu wählen und nochmal 4 mal die Freien Sachsen, wir Ost-Ost-Ostdeutschen sind Opf-Opf-Opfer der SPIEGEL-Journalisten, wir Ossis sind Ossis, weil ihr uns dazu gemacht habt, ihr habt uns gezwungen mit der Faust in die Welt.
25. April | Ostmulle
Heute erstes Treffen des neuen Seminars, es geht um die Beschäftigung mit der eigenen Herkunft, Texte sollen entstehen. Ich frage mich (noch nicht die Studierenden), wie sich diese Jahre wohl in die Herkunft einprägen werden; dieses Nebeneinander, Übereinander, Wegrutschen, diese ferne Überforderung, die bis auf wenige Zentimeter heranrückt. Was macht das mit den Lebenswegen, den Hoffnungen, dem Mut, den Möglichkeiten?
Dazu auch die Berichterstattung über eine Renaissance der Baseballschlägerjahre; Springerstiefel, weiße Schnürsenkel, Bomberjacke als Jugendkultur. Dazu auch der Begriff »Ostmulle«; junge Frauen aus Ostdeutschland in Helly Hansen und mit Beautyfilter, die auf TikTok lippensynchron Lieder der Onkelz, Landser, Gigi D’Agostino oder Weimar performen. Aus der Szene heißt es stolz: »ein massiver metapolitischer Dammbruch«, »auf verzweifelte wie mutige Art Outlaws«.
26. April | Petersdom, Gera, Theaterplatz

Während Markus Söder grinsend für den Instafeed von der Papst-Trauerfeier posiert, entsteht ein als ikonisch gedachtes Foto, das Selenskyj und Trump sitzend im weitläufigen Petersdom auf Stühlen sitzend miteinander redend zeigt, zum ersten Mal seit dem Treffen in Washington. Trump postet um diesen Moment herum: »…there was no reason for Putin to be shooting missiles into civilian areas, cities and towns, over the last few days. It makes me think that maybe he doesn’t want to stop the war, he’s just tapping me along, and has to be dealt with differently…«
Beim Parteitag des Thüringer BSW in Gera scheitert die von Sahra Wagenknecht beabsichtigte Entmachtung der Landesvorsitzenden Katja Wolf. Die Brombeere bleibt erst einmal. In allen Bundesländern heute koordinierte Aufmärsche Rechtsextremer unter dem Titel »Gemeinsam für Deutschland«. In Thüringen findet dieser Aufzug in Weimar statt. Die Innenstadt gesperrt, Sitzblockade in der Schillerstraße, das DNT hat das »Diplomatie! JETZT! Frieden«-Banner abgenommen und mit einem rettungsdeckengoldenen »Wir sind viele«-Transparent ersetzt. Davor auf dem Theaterplatz wehen die Friedenstauben, die Russlandfahnen, die Reichskriegsflaggen.
27. April | verschwinden lassen
In den USA wird eine Richterin verhaftet, weil sie die Arbeit der Deportationsbehörde ICE behindert. Ein neues Dekret besagt, dass Mitarbeiter des ICE ohne Durchsuchungsbefehl in ein Haus eindringen und dort befindliche Personen mitnehmen dürfen. Mit Hilfe der Peter-Thiel-Firma Palantir wird an einer KI-gesteuerten Datenbank gearbeitet, die Informationen von Personen zum Zwecke der Deportation zusammenführt und vereinfacht. Ein geschlossener Kreis des Terrors: Optimiert koordiniert Menschen ohne rechtliche Handhabe verhaften und in anderen Ländern verschwinden zu lassen und die Justiz, die dagegen Einspruch erheben könnte, einschüchtern und einsperren.