Dickes Brett


1. Juni | 2x BSW-Parteitag, das dicke Brett bohren

Am Eingang des Steigerwaldstadions in Erfurt heißt uns ein ehemaliger MDR-Moderator willkommen. Er hat seine Anstellung gekündigt und kandidiert für Listenplatz 3 des BSW, was ihm mit großer Sicherheit ab Herbst im Landtag sitzen lassen wird. »Wir versuchen heute das Unmögliche«, sagt er uns, »zwei Parteitage in einem.« Vormittags soll der Inhalt bestätigt werden, nachmittags die Listen. Deshalb ist an diesem Tag, so wird immer wieder gesagt werden, der größte Feind der BSW Thüringen – die Zeit.

Ein großer Raum, Tische, Stühle, viel Platz für die 47 Mitglieder des Landesverbands. 41 sind anwesend, später wird die Zahl auf 40 korrigiert, noch später auf 39. Mehrmals wird von einem »dicken Brett« die Rede sein, das man »gebohrt« habe. Damit ist gemeint, dass man innerhalb weniger Monate Strukturen geschaffen hat, die die Teilnahme an gleich drei Wahlen nicht nur ermöglichen, sondern ziemlich sicher schon zum Mitbestimmen führen werden.

Bester Beweise ist die Kommunalwahl von letztem Samstag. Etliche Gewinner werden vor die Bühne geholt, auch ein Bürgermeister ist darunter, Blumensträuße, Zufriedenheit, Fotos. Anschließend, weil die Zeit drängt, stellen in kurzen Wortbeiträgen Teilnehmer von Arbeitsgruppen inhaltliche Schwerpunkte vor. Dieser Inhalt wird anschließend ohne große Diskussion beschlossen. Was hinten auf den Medienbänken zu einigem Erstaunen führt: Parteitage, auf denen so wenig inhaltlich diskutiert werde, habe man selten erlebt.

Und so ist das auch ein RB-Leipzig-Feeling: Den Kreis der Vereinsmitglieder möglichst klein halten, damit das Entscheidende erstmal geräuschlos durchgewunken werden kann. Was Sinn macht, weil niemand auf so zeitlich knapp bemessenen Parteisonnabenden halbstündige Proseminarreferate von pensionierten Studienräten über die NATO möchte. Anderseits hat sich das BSW gerade Bürgernähe und direkte Demokratie auf die Fahnen geschrieben und das passt dann wieder nicht zu handverlesenen Entscheidenden.

Jemand zitiert einen Weimarer Kulturschaffenden, der sagt, dass er bei BSW mitmache, weil er wieder auf ehrliche Politik hoffe. »Wir werden Fehler machen und dann offen damit umgehen«, verspricht der Redner. Werdet ihr nicht, denke ich, niemand tut das. In der nächsten Sekunde frage ich mich, ob ich zynisch bin, ob man automatisch zynisch wird, wenn man drei Mal hinten auf der Medienbank bei Parteitagen gesessen hat.

Doch es geht hier um Hoffnung, das wird öfter vorn gesagt, Hoffen auf Veränderung, Hoffen darauf, in die als verheerend empfundene aktuelle politische Lage eingreifen zu können. Ja, dieses Wort Hoffen im Mund fühlen. Nach hundert Minuten schwebt Sinnbild dieses Hoffens in den Tagungsraum des Steigerwaldstadions, Sahra Wagenknecht. Wie letztens schon beim Unterstützertreffen landet sie, alle Augen auf sie gerichtet, umstandslos wird sie zur Bühne geführt, dort, wo sie hingehört.

Und dann redet sie, ohne Papier, ohne Laptop, die Sätze kommen druckreif in aller natürlichen Deutlichkeit. Sie dosiert Satzenden genau in den Applaus hinein, unglaublich froh, toll, gigantisch, ich habe mich so gefreut, sagt sie in kurzer Abfolge, als sie über die jüngsten Erfolge ihrer Partei spricht.

Gleich holt sie den populistischen Werkzeugkasten der Gegenwart heraus; abgehobene Politiker, die Grünen in Berlin Mitte, die sich nur ums Lastenrad kümmern etc. Das ist ein anderer Ton als vor Wochen beim Unterstützertreffen, als sie mehr wie ein salbungsvoller Lifecoach klang. Hier soll Blut in Wallung geraten, was wie ein Fremdkörper wirkt im Vergleich zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppen, die regionale Probleme angehen wollen und dabei nicht unbedingt Meinungskorridore im Sinn haben. Ich denke darüber nach, ob das so sein muss, ob diese Instrumente gespielt werden müssen, um die Protestwähler einzufangen, die ansonsten Höcke wählen würden und das letztlich rhetorischer Schnickschnack ist, um Mindestlohnerhöhung und Enteignung durchsetzen zu können. Oder ob dieser Werkzeugkasten Kern der Partei ist, ob das die Vernunft ist, die ihr Schlagwort sein soll.

Besonders fällt dieser Spagat beim Reden des BSW über Russland auf. Wenn man hier über den Krieg spricht, klingt es, als wäre die Ukraine Aggressor. Manchmal wird pflichtschuldig der Satz vorangestellt, dass Russland schon einst überfiel. Anschließend folgen stundenlange Aufzählungen über militärische Aktionen der Ukraine. Sich vorstellen, als fiebriger Tagtraum vielleicht, Sahra Wagenknecht könnte erzählen: vom russischen Angriff auf einen Supermarkt, wie Russland mit Atomwaffen an der ukrainischen Grenze aufmarschierte etc. Stattdessen zerstört die Ukraine russische Frühwarnsysteme und ist deshalb derjenige von zwei gleichermaßen schuldigen Partnern, der eskaliert. Und wir, der Westen, gleich mit. Agnes Strack-Zimmermann wird hier grundsätzlich nur Agnes Flak-Zimmermann genannt.

In der Mittagspause dürfen alle Kandidaten Fotos mit Sahra machen. Sie stellt dafür ihre Handtasche hinter dem Roll-Up-Banner ab und lässt die nächsten zwanzig Minuten über sich ergehen. Jeder will Fotos, weil sie Gesicht ist und Gesicht zeigt und es ist immer ein Gesicht, mit dem sie den Kameras zuwendet, wie auch sonst. Und wer sich nicht mit ihr fotografieren lässt, fotografiert, wie alle sie fotografieren.

Bald danach schwebt sie wieder aus dem Stadion. Im Gegensatz zu anderen der Partei, die umarmen und berühren und Kontakt suchen, hält sie sich auffallend zurück, vermeidet Nähe, so, als könnte sie dann Dinge entdecken, die sie vielleicht gar nicht mal in dem Bündnis, das ihren Namen trägt, haben wollte.

Nach der Pause beginnt der zweite Parteitag. Kandidaten werden gewählt, die einstelligen Listenplätze werden sehr wahrscheinlich ab Herbst im Landtag sitzen. Der MDR-Moderator stellt sich in seiner Bewerbungsrede als der nette Medienmensch von nebenan vor und liest dabei vom Laptop ab. Was einen der 39 stimmberechtigten Parteimitglieder zu der Frage bringt, weshalb man als gedienter Moderator eine 3-Minuten-Rede vom Laptop ablesen muss und ich merke mir das, weil mir das Parteimitglied auffiel, weil er davor bei Abstimmung anstatt dem ausgegebenen grünen Stimmzettel mit dem grünen Deckel seiner Brotdose hochhielt.

Jedenfalls ist zu spüren, dass da trotz dieses Parteitags, bei dem der einzige Feind die Zeit war und es darum ging, das dicke Brett gebohrt zu haben und deshalb Inhalt und Personen geräuschlos durchzubringen, Konflikte lauern und die Frage ist, wie die Partei mit diesen Konflikten bald umgehen wird. Das BSW hat nun schon die dritte rote Farbe im Spektrum, eine vierte sollte, das ist zumindest der Wunsch, erst einmal nicht dazu kommen.

2. Juni | Mannheim, KI

Der Polizist, der den islamistischen Attentäter in Mannheim überwältigte, stirbt an den Stichverletzungen. Alice Weidel entschuldigt sich, in der Stadthalle von Kirchheimbolanden eine Stellungnahme von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum Anschlag in Mannheim vorgetragen zu haben; der Text wurde durch ChatGPT von einem AfD-Abgeordneten erstellt.  

3. Juni | Jahrhundert der Jahrhunderthochwasser

Man steht in Stiefel am Schlamm der Regen und sieht, wie sich das Klima durch die Auen wälzt, Strom und Strudel gegen die Sandsäcke und fragt sich entgeistert: Wie konnte das passieren? Wir haben doch das Gendern verboten!

Das ist ein Take zum Hochwasser in Süddeutschland. Ein anderer ist, darauf hinzuweisen, dass die bayrische Regierung auf Drängen der Freien Wähler den Hochwasserschutz streichen ließ, danach beschloss, nach Naturkatastrophen nicht mehr zu zahlen und heute steht Markus Söder sinnierend mit Regenschirm an den gefluteten Dämmen und fordert finanzielle Solidarität vom Bund.

Ein weiterer Take ist der Hinweis auf die Rekordhitze in Indien, den Beginn der Hurrikansaison und wie viel Energie das Meer schon zu diesem frühen Zeitpunkt aufgenommen hat und der Verweis darauf, dass alles Reden über Fluchtbewegungen nur Geplänkel ist angesichts dessen, was aus der zunehmenden Zuspitzung erwachsen wird.

Gleich ist diesen Takes eins: eine Verbitterung, oder anders, verloren gegangene Hoffnung, dass aus Flut und Dürre Lehren gezogen werden könnten, weil: zu wenige Extreme bedeuten kein Grund ernsthaft zu handeln, zu viel Extreme bedeuten Gewöhnung und Abstumpfung, der schmale Grat dazwischen scheint unmöglich mehr zu treffen und am Ende steht Markus Söder in Regenjacke vor Mikrofonen und sagt »Hier entstehen Ereignisse, die es vorher nicht gab. Damit konnte auch, oder hat normalerweise keiner gerechnet.«

4. Juni | Ministerium für Humankapital

In Argentinien verpflichtet ein Gericht den Präsidenten und Anarchokapitalisten Javier Milei mehrere Tausend Tonnen Lebensmittel freigegeben, die auf dessen Geheiß vom »Ministerium für Humankapital« gehortet worden waren, damit in Armenküchen keine Nahrung mehr an Hungernde ausgegeben werden können.

5. Juni | Oszillieren

Vor der Europawahl ein Oszillieren zwischen: Mannheim (Migration, Abschiebungen nach Afghanistan, Messerverbote, Islamverbände) & Hochwasser in Süddeutschland (Klimakatastrophe).

6. Juni | freie unabhängige Bürger für Listen

Letztens beim Besuch in meinem Geburtsort, wo diesen Sonntag auch kommunal gewählt, aufgefallen, dass es mehrere Listen gibt, alle mit Chance, in den Stadtrat einziehen. Zusammenschlüsse, weil die Angebote der Parteien nicht auszureichen scheinen, eine eigene Liste, unabhängig, frei, Bürger für Zersplitterungen, weil es nicht möglich ist, unter einem Dach zusammenzukommen, das Kleinteilige als Zeichen, Partikular als demokratischer Zustand.

7. Juni | Wahlbilder

8. Juni | Eisenberg, idyllisch beunruhigt

Der vierte Blumenwurf, heute auf dem Stadtfest in Eisenberg. Wir sind für den Schlosspark vorgesehen; grüne Wiesen, plätschernde Brunnen, Weinverkostungen, Elfen auf Stelzen, Drehorgelspieler, idyllisch. In Gesprächen die Wut an sich über ein als dysfunktional wahrgenommenes System. Die Themen Krieg und Migration, danach lange nichts, irgendwann die Inflation. Ausweg aus dieser Wut ist das Kreuz, das man bei den nächsten Wahlen setzen wird. Gespräche aller Art, viele Geschenke auch, und auch viel Unzufriedenheit, zum Teil so viel, dass es schwerfällt, sich vorzustellen, wie das ins Lot kommen könnte. Die Fragen, die diese Themen aufwerfen, so komplex, dass sie in kurzer Zeit nicht gelöst werden können. Weil es auf diese Fragen keine einfache Antworten gibt. Die Antworten wird es nicht geben oder die Antworten, die es geben wird, die wird diese Art von Unzufriedenheit, diese Art von Erwartung, die an das Gesicht einer Gesellschaft gestellt wird, nicht lösen. Was dann? Was, wenn sich die Wut nicht löst, weil sie sich nicht lösen lassen will? Wie lange staut sich eine solche Wut auf? Ich fahre mit großer Beunruhigung aus Eisenberg ab.

9. Juni | Gewöhnungen

Fünfter Blumenwurf, diesmal im Eichsfeld, in Eichstruth, ein kleines Dorf, das wir seit sechs Jahren kennen. Vor dem selbstgebauten Gemeindehaus, neben der Feuerwehr und Spielplatz, vor dem Friedhof bauen wir unsere Tafel auf. Im Gemeindehaus befindet sich das Wahllokal, das Dorf hat darum gekämpft, trotz Aufgabe der Eigenständigkeit noch im Ort selbst abstimmen zu können. Man sitzt dort, man kommt vorbei, hält Plausch, trinkt was, jemand bringt Pizza vorbei oder Flammkuchen. Wir reden währenddessen über die Wut, lauter Geschenke an Gesprächen, die ein weites Feld abdecken, die quasi einmal einen Querschnitt durch die Gegenwartswut abbilden. Auch hier Unzufriedenheit, viele praktische Beispiele aus Lebens-, Arbeits- und Gemeindewelt über Dysfunktionalitäten. Und trotz dieser geballten Aufzählungen geht die gestrige Beunruhigung zurück, vielleicht weil die Unzufriedenheit mehrmals an konstruktive Reaktionen gekoppelt sind, vielleicht aus Gewöhnung: weil die Unzufriedenheit da ist, Standard, die Wahrnehmung, dass die Gegenwart für viele viele Leerstellen hat.

Am Abend dann die Ergebnisse der Europawahl. Auch hier eher ein Schulterzucken, überraschungsarm, vielleicht aus Selbstschutz die Distanz. Die Annahmen haben sich erfüllt. So ist sie, die Realität, jetzt zementiert auf einige Jahre in Sitzverteilungen. Und nun, damit umgehen.

10. Juni | Sortierungen

Der Tag nach der Europawahl. Nach der Gewöhnung von gestern, die ja keine angemessene Reaktion sein kann, das Ordnen, der Versuch zu fassen. Macron löst das französische Parlament auf, Neuwahlen Ende Juni, dann vermutlich Rassemblement National als stärkste Partei. Die AfD schließt ihren Spitzenkandidaten Krah aus der Fraktion aus. Grundsätzlich die Diskussion über die Zahlen. Die Verluste der Ampel, der Aufstieg von BSW, die Stärke der AfD, die in Ostdeutschland die meisten Stimmen erhielt. Der Westen Deutschlands schwarz, der Osten blau. Und wenig gibt Anlass zu glauben, dass sich daran bis zum Herbst etwas ändern wird.

Und vielleicht ist das so: die FDP, die sich in ihrer Ideologie einmauert, die Grünen, die auf ihren Kern zusammengeschrumpft sind und ihre Politik nicht erklärt bekommen, die SPD, die sich totstellt, in der Hoffnung, dadurch zu überleben, die Linken, denen ihre Partei wie Wasser aus den Händen rinnt, die CDU, die sich als Gewinner wähnt, aber als Kopie längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Dagegen die AfD, die trotz Spionage, trotz Korruption, trotz den größten Demonstrationen seit 35 Jahren so viele Stimmen bekommen hat, dagegen das BSW, ein leeres Blatt, auf dem allein Frieden steht und das deshalb viele Hoffnungen weckt, Volt für die Jungen, ja, vielleicht ist es so, dass sich das Parteiensystem gerade nicht nur gefühlt, sondern richtig in Zahlen neu ordnet, dass siecht und wegbricht und Neues geschaffen wird und damit neue Bünde geschaffen werden, etwas, das die nächste Dekade tragen wird.

11. Juni | Abwesenheiten

Wolodymyr Selenskyj kommt nach Berlin, weshalb in Berlin der Nahverkehr für Stunden lahmgelegt wird. Der ukrainische Präsident spricht im Bundestag, AfD und BSW verlassen den Bundestag, man möchte keinem Redner im Tarnanzug anzuhören, keinem Kriegs- und Bettelpräsident, man möchte nicht klatschen für jemanden, der Deutschland in einen weiteren Weltkrieg treibt. Man möchte abwesend sein, jeder leere Sitz ein Faustschlag in das Gesicht Mariupols.

12. Juni | in Brüssel sein

Rückfahrt aus Brüssel. Gestern dort zusammen mit Emma Braslavsky in der Landesvertretung Thüringen aus einem Romanmanuskript lesen dürfen. Etwa 60 Gäste, so ein Abend ist auch ein Abend der Vernetzungen. Im Meetingraum, wo die Lesung stattfindet, zeigen die Roll-Ups mit Blick auf die Rue Guimard den Erfurter Dom, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek.

So seltsam: Zwei Tage zuvor war ich in Eichstruth, kaum hundert Einwohner, ein Dorf, das darum gekämpft hat, in ihrem Dorf selbst für Europa wählen zu dürfen, Feld, Wald, Kirche, dreißig Häuser. Und heute hier, in einer Etage in einem der vielen Glasbauten arbeiten so viele, wie in Eichstruth leben.

Die kleinste politische Struktur, die größte politische Struktur, 100 Einwohner von 450 Millionen. Wie bringt man das zusammen? Wie wird man beidem gerecht, dem Übergeordneten, dem Kleinen? Gerecht, dass die hundert in Eichstruth sich von der großen Einheit gehört und vertreten fühlen? Gerecht, dass die große Einheit 5 Millionen Eichstruths verstehen und begreifen kann und dennoch verallgemeinern muss, um allen gerecht zu werden, ständiges Kompromissefinden also? Was ist der Weg dahin und warum liegen so viele Steine darauf?

»Am Freitag sind wir bei den Bayern«, höre ich jemanden sagen und frage mich, welche Funktionen die Anwesenden haben, welche Netzwerke hier bei Wraps geschaffen werden, auf welche Weise sich hier notwendige Fäden spinnen zwischen Dörfern, Städten, Bundesländern, Staaten, Ausschüssen, Menschen, so Einfluss geschaffen wird, Wraps, die später einmal Worte werden Argumente Gesetze Verständnis Zusammenarbeit Gemeinsamkeit? In Eselmilch gebadet stehen wir beieinander, richten unsere Anstecktücher, zwei Tage nach der Europawahl, dazwischen ich, habe gerade vom Untergang dieser Demokratie gelesen, eine Fiktion.

13. Juni | zweifach

Im Weimarer Stadtrat bricht die AfD miteinander, splittet sich formal in zwei Fraktionen auf, was bedeutet, dass sie in den Ausschüssen zweifach vertreten sein könnte, manche sprechen davon, dass es genau darum gehe.

14. Juni | Europameisterschaft

Deutschlandfahnen an Autoseitenfenstern, Public Viewing auf dem Hermann-Brill-Platz, Männer in weißen Trikots, Markus Söder mit schwarz-rot-goldener Blumenkette um den Hals – fünf Tage nach der Europawahl beginnt die Europawahl der Herzen, EM 24. Kollektiv Hoffen auf ein Sommermärchen, magische Wochen, die uns befrieden, in denen wir nicht über Agrarsubventionen, Putins 6-Punkte-Friedensplan, Hamas-Geiseln und Mannheim sprechen müssen, sondern: Warst du bei dem Trainingsspiel der Three Lions im Ernst-Abbe-Sportfeld? Hast du gehört, dass die schottischen Fans in einem Münchner Café alles Bier weggesoffen haben sollen?

Das Unpolitische soll vom Politischen ablenken. Und weiterhin all die Diskussionen, die mitkommen; der Zeigefinger von Antonio Rüdiger, die woken Trikots, die Umfrage des WDRs, auch die, wo die Hand liegen sollte, wenn die Nationalhymne gesungen wird (auf dem Herzen) und ob sich die Lippen bewegen sollten, wenn die Nationalhymne gesungen wird.

2006, die Straßen voll von Teenagern, die schwarz-rot-gold tragen, Perücken, Fähnchen, Make-Up. Ich bin überrascht, irritiert über die Partyhaftigkeit, mit der sie das tun, bin diese Bilder nicht gewohnt, diese Schwarz-Rot-Goldene Selbstverständlichkeit. Sage mir selbst vor, dass ich locken lassen solle, es sind Wasserfarben, die auf Wangen aufgetragen sind. Und dann das Gruppenspiel gegen Polen, öffentliches Schauen im Garten einer Kneipe, brechend voll, 90 Minuten gespielt, als David Odonkor den Ball auf Oliver Neuville flankt, Deutschland gewinnt und die Jungs hinter uns aufstehen, den Arm leicht heben und brüllen »FÜHRER FÜHRER« Pause »GRUPPENFÜHRER« und ich weiß, dass ich die Spiele gern schaue und eine Meinung zur Aufstellung habe und auf Kicktipp prognostiziere und hochspringe bei Toren und ein fünf zu eins feiere und niemals die Hymne mitsingen werde.

15. Juni | Rhythm of My Heart

Friedrich Merz überlegt es sich anders und schließt nun Koalitionen mit dem BSW grundsätzlich nicht mehr aus, eine möglicherweise nicht unwichtige Nachricht für Mitteldeutschland. In Leipzig wird Rod Steward auf seinem Abschiedstourneekonzert ausgepfiffen, als er seinen Hit »Rhythm of My Heart« mit Fuck Putin eröffnet und dazu Bilder aus dem Krieg zeigt, beim Zeigen der ukrainischen Flagge Buh-Rufe. »Trotzdem braucht der Las Vegas gewohnte Entertainer eine gute halbe Stunde und eine Handvoll wirklich großer Hits, bis er das Publikum wieder auf seiner Seite hat.«

16. Juni | Was es ist

Was sind diese ersten Tage der Europameisterschaft in Deutschland? Der Mann, der mit Molotowcocktail und Spitzhacke unweit der Fanzone versucht, auf die Reeperbahn zu rennen? Der Mann, der in Wolmirstedt einen Menschen ersticht und auf einer Fußballparty mehrere Menschen verletzt? Die Warnungen von Anschlägen durch die ISPK? Sind es die Gruppen, die auf Fanfesten auf die Melodie von L’amour toujours weiterhin Ausländer raus, Deutschland den Deutschen singen? Ist es die Gruppe von Jugendlichen, die in Grevesmühlen zwei Mädchen, deren Eltern aus Ghana stammen, angreifen? Die Männer, die vor dem Landtag in Schwerin den Hitlergruß zeigen? Sind es die Schotten, die gutgelaunt alles Bier trinken? Die albanischen Fans, die mit den italienischen Fans tanzen? Die indische Band, die im Deutschlandtrikot ein eigenes EM-Lied singt? Die vollen Fanmeilen? Und was, wenn diese Tage alles davon sind und noch mehr? Was sehe ich davon, was will ich davon wahrnehmen? Wie kriege ich das vernünftig verarbeitet? Wie könnte ich annehmen, diese Tage könnten irgendetwas davon vermeiden?

17. Juni | Vorbereitungen

Die GEW – Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Thüringen – bereitet in Workshops Lehrkräfte darauf vor, dass das Bildungsministerium von der AfD übernommen werden könnte. Die Kultusministerkonferenz plant, das Einstimmigkeitsprinzip abzuschaffen, um zukünftig eine mögliche Blockade der Bildungspolitik durch die AfD verhindern zu können.

18. Juni | Blumenwurf

Heute wieder zwei Blumenwürfe; einmal in Bad Frankenhausen, zu Fuße des Bauernkriegspanoramas und später in einem kleinen Dorf bei Jena. Wie immer, zum Teil sehr differenzierte, überraschende Betrachtungen der politischen Gegenwart neben dem Abrufen der bekannten Themen. Dabei ebenfalls die Frage, was eigentlich die Gegenstände sind, anhand derer unser demokratisches Verständnis abgerufen wird. Anders gesagt: Warum weisen wir dem Ukrainekrieg bei der Bewertung unserer Zufriedenheit mit der Politik so viel Bedeutung zu und finden weniger Bedeutsames bei den lokalen, regionalen, den überschaubareren Fragen, bei denen wir wirksam werden könnten?

Nach der Fahrt durch diverse Gewitterzellen das Lesen der aktuellen Umfrage zur Thüringer Landtagswahl. Das BSW nahezu gleichauf der CDU. Was vermuten lässt, dass sich das Bündnis im September aussuchen kann, mit wem es regiert. Die Linken spielen kaum eine Rolle mehr. Seltsamerweise wenig Überraschung angesichts der Zahlen, vielleicht, weil sich diese Verhältnissmäßigkeiten in den Blumenwurfgesprächen finden ließen. Was sollte sich an diesem ungefähren Bild in den nächsten zehn Wochen groß ändern?

19. Juni | Grevesmühlen

In Grevesmühlen tritt eine Gruppe von 20 Jugendlichen ein achtjähriges Mädchen, deren Eltern aus Ghana stammen, ins Gesicht, so dass sie ins Krankenhaus muss. Das ist die Meldung. Sie wird geteilt. Viele verurteilen die Tat, Solidaritätsbekundungen. Bald darauf korrigiert die Polizei die Meldung. Nicht mehr von Tritten ins Gesicht ist die Rede, sondern von verbalen Beleidigungen, dem Stellen eines Fußes. Wieder Berichte, diesmal über Korrektur, dadurch Grevesmühlen als Lüge, Lüge der Medien, Lüge der Politik.

Andere Videos werden aufgerufen, andere Taten, Täter mit anderen Hautfarben, in Vergleich gesetzt die Taten, verglichen die Reaktionen derer, die zuerst reagierten, wie sie auf andere Videos und Taten reagierten, daraus Scheinheiligkeiten abgeleitet, Ungerechtigkeiten, Voreingenommenheiten, Sprechverbote. Polarisierungsunternehmer packen ihre Kanäle voll mit Surren, ein bedrohliches Rauschen, alles ist Angst, alles ist Lüge, alles aus dem Lot. Die Tat, die Taten werden in Endlosschleifen bespielt, bis die Taten verschwinden hinter Reaktionsreaktionen.

Genügt es, das dazu zu schreiben? Kann das alles sein? Eine Bestandsaufnahme des Rauschens? Auch ich habe hier von Grevensmühlen geschrieben, in einem Satz die erste Meldung, nach der offiziellen Korrektur korrigierte ich. Hätte ich es anders handhaben sollen? Einige Tage (wie viele?) abwarten? Abwarten, bis die polizeilichen Ermittlungen beendet sind? Bis eine mögliche abschließende Gerichtsverhandlung ein Urteil über Schuld gefällt hätte? Dann hätte ich in drei Jahren darüber geschrieben, also nicht in der Chronik von 2024. Wäre das besser gewesen? Weil: Die Lage ist ja dennoch vorhanden. »In Grevesmühlen ist der Oldschool-Look der Rechtsextremen wieder en vogue. Bomberjacke, Army-Hose, Glatze und Springerstiefel Bomberjacke.« beschreibt ein Text Grevesmühlen.

Aber wird es der Sache gerecht, Grevesmühlen als Surren von Polarisierungsunternehmern zu beschreiben? Die erste Meldung war da, die Korrektur, die Solidaritäten. Taten waren da, Reaktionen. Reicht es zu schreiben, dass reagiert wurde? Was sagt Grevesmühlen über die Wahrnehmung, die wahrgenommene Wahrnehmung, das Tatsächliche und das, was am Ende bleibt, über Rassismus, Lüge, Solidarität? Was über die Polarisierungsunternehmer? Muss ich verstehen, um das Jahr 2024 zu verstehen? Oder habe ich das schon in den Baseballschlägerjahren verstehen können?

20. Juni | Nett gemeint

Nach dem 2:0-Sieg der deutschen Mannschaft gegen Ungarn, bei dem Jamal Musiala und İlkay Gündoğan, twittert Katrin Göring-Eckardt: »Diese Mannschaft ist wirklich großartig. Stellt euch kurz vor, da wären nur weiße deutsche Spieler.« Carlo Masala twittert: »Solange ihr lobend darauf hinweist, dass Deutsche mit Migrationshintergrund besonders tolle Dinge machen ( z.B. Tore schießen), solange sind wir Deutsche mit Migrationshintergrund halt keine Deutschen, sondern Deutsche mit Migrationshintergrund. Nett gemeint ist nicht gut gemacht«. Zugleich pushen die üblichen Polarisierungsunternehmer den Hashtag: »Rassismus gegen Weiße«, bespielen das Feld routiniert. Aus dem Nett gemeint wird abgeleitet, das nächste Spiel, die gleiche Arena. Das nett gemeint erweist sich als unzureichend, um in dieser Arena zu bestehen, dient dort nur als Energieträger der Polarisierungsagenda.

Hinter dieser Arena verschwinden: In Italien nimmt der Umbau der Verfassung die nächste Hürde. Bei einer weltweiten Umfrage wünschen 80% der Prozent der Befragten sich mehr Einsatz zur Bekämpfung der Klimakatastrophe. Der Verbrauch fossiler Energieträger erreicht einen neuen Höchststand.

21. Juni | Blumenwurf

In ihrer neuen Kampagne für die Landtagswahl wirbt die FDP Thüringen mit dem Blumenwurf von 2020. Damals warf Susanne Hennig-Wellsow im Thüringer Landtag dem soeben zum Ministerpräsidenten gewählten Thomas Kemmerich Blumen vor die Füße, weil er die Wahl annahm, bei der er mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD gewählt wurde. Das heutige Motiv: Die Füße von Thomas L. Kemmerich, davor ein Blumenstrauß, dazu steht »zurückgetreten, um Anlauf zu nehmen.«

Für unser Kunstprojekt verwenden wir ebenfalls dieses Motiv. Wir fahren in Städte und Dörfer und lassen Leute Blumen werfen auf das, was sie wütend macht. Der Wurf ist Performance, Beginn oder Abschluss von Gesprächen über die wahrgenommene aktuelle politische Situation im Land, nicht ausschließlich, aber oft.

Viele werden es unverschämt finden, dass der Landesverband diese Geste, die diese Vielen als gegen ihn gerichtet empfinden, als symbolisch für die Vorführung der Demokratie durch die AfD, für sich nutzt. Viele dieser Vielen werden von außerhalb Thüringens kommen.

Von unseren Würfen, bei denen wir auch über den damaligen Wurf sprechen, wissen wir, dass die Werbekampagne hier auf Zustimmung treffen wird. Viele hier finden den damaligen Wurf als unanständig und respektlos, sehen Wurf (und später den Rücktritt) gerade als Beleg für Undemokratie. Das Plakat vom Blumenwurf wird sich in Stimmen auszahlen.

Die Werbekampagne, die Stimmen bringen soll, denke ich nun mit, wenn ich an unsere Aktion denke, das ungute Gefühl, damit Instrument zu sein, mit unserem Werfen das Symbol weiter beliebig werden zu lassen.

22. Juni | Konsens und Lösung

Gesellschaftlicher und politischer Konsens ist, dass Migration unser größtes Problem ist. Migration ist für die strukturellen Probleme in Deutschland verantwortlich. Jedes Problem (Kriminalität, Wohnungsnot, Antisemitismus, Bildungssituation, fehlende KiTa-Plätze) ist im Grunde ein Migrationsproblem, so der Konsens. Die gesellschaftliche Schlussfolgerung daraus: Wenn wir die Migration lösen, lösen wir damit diese Probleme. Innenministerkonferenz. Maßnahmen beschließen, energisch in Kameras sprechen. Prinzipen abwägen gegen Pragmatismus, der Realität, dem, was wir sagen, wir, das Volk. Die Politik zeigt, dass sie das Volk verstanden hat. Zeigt, dass sie das Heft des Handelns in der Hand hält. Wir sehen: Unsere Forderungen haben Folgen. Die geschmähte Politik geht das Problem, das wir als Wichtigstes auserkoren haben, an. Unser gesellschaftlicher Wunsch erfüllt sich. Die notwendige Härte, nach der wir verlangt haben, ist in Worten und Taten nun da. Es wird etwas getan, etwas ändert sich.

23. Juni | Objektiver, vermeiden

Im Schreibseminar sagt eine Studentin, dass sie sich bemüht, neutral zu schreiben, weil sie niemanden auf dem Schlips treten will. Wir sprechen darüber, warum das so ist, warum sie das Gefühl hat, so handeln zu müssen. Später denke ich darüber nach, ob ich das bei der Chronik ähnlich handhabe: versuchen, neutral zu sein. Das sicher nicht. Aber schon ein lockeres Bemühen, objektiv zu sein, zumindest objektiver zu schreiben, als ich empfinde.

Dabei geht es nicht allein ums Schreiben. Allein schon um die Auswahl der Themen. Mehrmals habe ich einen Eintrag vermieden, weil allein die Tatsache, dass ich darüber schreibe und dafür anderes weglasse, mir zu wertend erschien, zu klar, zu deutlich.

So tanze ich auch das Thema Bürgergeld. Vermeide, darüber mehr zu schreiben. Auch über den aktuellen Take: Alexander Dobrindt fordert die Ausweisung von Ukrainerinnen und Ukrainern, wenn diese keine Arbeit haben, in »sichere« Gebiete in der Ukraine.

Ich habe vermieden zu schreiben, weil ich gern sachlich schreiben würde. Argumente aufzählen, abwägen, Pro/Contra. Aber muss ich das? Dobrindt, der alle Chancen hatte, sich als kompetente politische Fachkraft zu beweisen, die dazu beiträgt, unser aller Leben besser zu machen, hat ja auch kein Interesse an solchen Ausgewogenheiten. Anstatt Lösungen vorzuschlagen bedient er mehrere Ressentiments. Warum sollte ich da objektiv sein? Also vermeide ich das Thema und schreibe nicht darüber.

24. Juni | Gemeinnützigkeit

Hundert Vereine, Initiativen und Organisationen haben einen Brandbrief an Bundeskanzler geschrieben. Aus Sorge, ihren Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren. Gemeinnützigkeit bedeutet: politisch neutral zu sein. Demos gegen Rechtsextremismus zu organisieren ist ein möglicher Neutralitätsverstoß, nach dem die Gemeinnützigkeit entzogen werden könnte. Die AfD zeigt jetzt schon Vereine beim Finanzamt an, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Im Brief heißt es »Deswegen denken viele von uns über jedes Engagement zweimal nach – über jede Aktion, jede Demonstration, jeden Offenen Brief. Und deswegen geht immer mehr Engagement für unsere Demokratie verloren.«

25. Juni | Rückennummer Hakenkreuz

Umsteigen in Gößnitz, 40 Minuten Aufenthalt. Sitzen im Schatten auf Bahnsteig 4. Ein Junge auf tiefergelegtem Bike cruist vor den Fahrplanaushang. Er trägt ein gratis Check24-Deutschlandtrikot. Auf die Rückseite haben Freunde mit Filzstift Grüße geschrieben, wie auf den Verband eingegipster Arme und Beine. Peniskopp steht dort, Schwanz-Harald, Herzchen Selina und auch zwei Hakenkreuze, gemalt in freundlichem Grün. Der Junge schaut sich die Abfahrtszeiten an, vapt ein wenig und steigt dann ein in die Bahn nach Halle, trägt Rückennummer Hakenkreuz auf seinem Check24-Trikot.

26. Juni | Aktivismus

Ich sehe das Video einer jungen Aktivistin aus dem Palestine Campus Leipzig. Im Video fordert sie auf, die Beziehung zu Israel abzubrechen. Sie sieht aus, benutzt die sprachlichen Codes von Aktivistinnen aus den vergangenen Jahren, Codes und Sprache, die für Anliegen verwendet wurden, denen ich positiv gegenüberstehe, die ich für wichtig halte.

Ich bin irritiert. Nun bringe ich diese Codes, diesen Habitus nicht in Einklang mit dem Ziel des Aktivismus. Die Codes haben sich gegen die Absicht gewandt. Ich frage mich, wie das ist. Ob man, weil man in eine bestimmte Zeit geboren ist, automatisch den jungen Aktivismus dieser Zeit betreibt. Oder ob man die Wahl hat, ob man entscheiden kann, für was man aktiv wird, was man darüber wissen möchte, welche Augen man schließt.

28. Juni | Beleg der Tattrigkeit

Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten. Eigentlich ist die Bühne bereitet für Joe Biden: kein Publikum, Redezeitbeschränkung, ein Gerichtsprozess, der mit einem vernichtenden Urteil für Donald Trump endete, das »Projekt 2025«, in dem auf 1000 Seiten penibel beschrieben wird, wie verheerend die zweite Amtszeit Trumps aussehen wird. Stattdessen: ein Beleg von Bidens Tattrigkeit. Der lange schon vorherrschende Eindruck eines greisen Mannes komprimiert auf zwei Stunden; Einfrieren von Bewegungsabläufen, stockend, steif, stolpernd, verhaspelnd, fadenverlierend, bleich, starr und wächsern. In Zeitlupe hineinrutschen in einen Trumpfaschismus, niederschmetternd.

29. Juni | Grugahalle

Parteitag der AfD in der Grugahalle Essen. Die Stadt hisst vor der Halle Regenbogen- und EU-Flaggen, die Ruhrbahn nennt die Haltestelle vor der Halle in »Vielfalt« um, 70000 Demonstrantinnen, die versuchen, AfDlerinnen am Betreten der Halle zu hindern. Viele werden das gut finden, notwendig, der AfD als Partei, die die Demokratie abschaffen möchte, muss mit allen Mitteln entgegengetreten werden. Ich bin mir sicher – auch aus den Gesprächen der letzten Wochen –, dass viele diesen Gegenprotest schlecht finden werden; eine demokratisch legitimierte Partei wird daran gehindert, ihre demokratisch verbrieften Rechte auszuüben, die gewaltbereiten Gegendemonstranten als die eigentlichen Undemokraten, nicht die AfD.

Ich, der nichts tut als diesen kleinen Eintrag zu schreiben, frage mich, was der Protest zur Folge hat, was die Fahnen, die Umbenennung einer Station. Die Parteigängerinnen gelangen ja dennoch in die Halle und dort wählen sie die Doppelspitze und die Partei wird in die Wahlen in den Herbst gehen und dort wird sie stärkste Kraft werden. Sind es die Bilder, das Symbolische daran, ist das Deutlichmachen, das der Durchmarsch kein Selbstläufer wird, ist es die Bestätigung aus dem Demonstrationen Anfang des Jahres, dass es möglich ist, Prozente zu senken, ist es gar keine Frage, die sich stellt, weil es um das Entgegenstellen grundsätzlich geht, ist das einer von mehreren Wegen, welche Wege gibt es noch außer es zu schaffen, dass Beatrix von Storch aus Büschen hastet, das Bild davon?

In der Halbzeitpause des Achtelfinalspiels zwischen Deutschland und Dänemark zeigt das heute-journal einen kurzen Bericht zum Parteitag. Am Ende des Beitrags, kurz vor Beginn der zweiten Halbzeit, die Deutschland ins Viertelfinals führen wird, ein Zusammenschnitt der Aussagen von AfDler, dass sie keinen Fußball der deutschen Nationalmannschaft mehr schauen, weil es eben die »Regenbogenmannschaft« ist.  

30. Juni | das vorgezogene Niederschmetterende

Wie erwartet ist der Rassemblement National im ersten Wahlgang für die französische Nationalversammlung stärkste Kraft geworden. Ist das Niederschmetternde unausweichlich, wäre es sowieso geschehen, so eben drei Jahre früher? Was hätten drei Jahre geändert? Nächste Woche die Stichwahl, danach hat der RN Gelegenheit, sich im Amt zu entzaubern. Oder weiter zu normalisieren.


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